Sao Miguel do Gostoso
Der Windsurftrainer und Fotograf Tom Brendt berichtet aus Sao Miguel do Gostoso in Brasilien.
Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss. Es fühlt sich an, als hätte ich sie erst gestern, nach langen Reisen zu den Clinics in Griechenland und am Gardasee, geöffnet, um meine Familie in die Arme zu schließen. Jetzt also wieder Abschied. Wenn es auch in diesem Fall für nur etwas mehr als eine Woche sein würde, fällt es doch immer wieder schwer. Eine neue Clinic steht an. Diesmal in Sao Miguel do Gostoso Brasilien.
Vom César Manrique Flughafen auf Lanzarote fliege ich nach Madrid. Von der spanischen Hauptstadt geht es über Lissabon Richtung Brasilien, mit Flugroute über die Kanaren. Nicht gerade die kürzeste Anreise. Das Reiseziel entschädigt aber für eine weitere schlaflose Nacht und unzählige Stunden im Flugzeugsitz.
Glücklicherweise fegt der Wind über die Wellenkämme an der Northshore von Maui und das Aloha Classic findet gerade statt. Der Livestream verkürzt meine nächtliche Wartezeit am Flughafen erheblich. Die Viertelfinale stehen gleich an und meine Müdigkeit wurde relativ schnell verdrängt.
Sao Miguel do Gostoso liegt im Bundesstaat Rio Grande do Norte südlich der unter Windsportlern berühmteren Gegend Ceara mit den Spots um Jericoacoara. Somit steht auf meinem Flugticket auch Natal und nicht Fortaleza als Destination.
Von Natal aus ist es dann noch etwas mehr als eine Stunde bis nach Sao Miguel do Gostoso. Das Ortsansässige Unternehmen Windcab bietet einen sehr guten Transferservice zu vernünftigen Preisen und ist auch an den Transport von Boardbags gewöhnt. Kein Grund also, sich Gedanken über den weiteren Reiseverlauf machen zu müssen.
Nachdem auch beim Aloha Classic auf Maui langsam die Sonne untergeht und die restlichen Heats auf die kommenden Tage gelegt wurden, steht für mich noch ein Terminalwechsel in Madrid an, samt meinem gesamten Gepäck. Neu einchecken. Dieses Mal bis nach Natal. Erneute Handgepäckkontrolle und schon sitze ich im nächsten Flieger. Es dauert nicht lange, bevor sich meine Augen schließen. Allerdings nur für eine knappe Stunde, bevor in Lissabon der letzte Flugzeugwechsel, samt Passkontrolle, ansteht.
Mit der portugiesischen TAP geht es für etwas mehr als sieben Stunden über den Atlantik.
Die Ankunft in Natal könnte entspannter kaum sein. Wir sind das einzige Flugzeug am kleinen internationalen Flughafen von Natal. Entsprechend zügig gestaltet sich die Einreise, und der Transferservice wartet auch bereits.
Seit auf der gesamten Strecke, von der Stadt Natal ausgehend, gen Norden, Geschwindigkeitskontrollen installiert wurden, dauert die Fahrt durch die Lagunenlandschaften etwas länger. Es geht erst eine gute Stunde fast stetig geradeaus und dann weitere 20 Minuten kurvig und über mächtige Bodenschwellen bis zum Ortseingang von Sao Miguel do Gostoso.
Unmittelbar vor dem Ortseingang hat der ehemalige Windsurfprofi und Weltmeister Kauli Seadi sein neuestes Center errichtet, mit Kite, Wingfoil, Windsurf, Unterkünften, Shop und Lounge-Bereich.
Nur ein paar hundert Meter weiter stoppt unser Taxi vor der Villa Emanuelle, unserer Pousada in diesem Jahr. Eine Entscheidung, die wir, meine Camp-Gruppe und ich, definitiv nicht bereuen würden. Es ist eine tolle Anlage mit sehr gut ausgestatteten und immer sauberen Zimmern, tollem Poolbereich und Garten, sehr gutem Frühstück und extrem freundlichem Personal. Allen vorweg ist der Besitzer der Pousada, Paolo, zu nennen, welcher irgendwie immer genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Sei es, ob uns gerade Fragen zum Ort, zu Restaurants durch den Kopf schossen, oder wir den knapp zehnminütigen Fußweg zum Dr. Wind Windsportcenter antreten wollten: Paolo beantwortete die Fragen, gefühlt bevor wir sie stellen konnten, und fuhr mit seinem Pick-up-Truck vor, sobald sich die gläsernen Schiebetüren unserer Zimmer bewegten. Das Angebot zum Strandtransfer konnten wir ihm unmöglich ausschlagen.
Entsprechend ausgeruht kamen wir am Dr. Wind Center an, auch wenn uns der kurze Fußweg sicherlich auch nicht wirklich viel Energie abverlangt hätte.
Bereits von der Frühstücksterrasse der Villa Emanuelle sind Teile des Strands und vor allem das Meer sowie der Wind zu sehen. Dennoch hat ein Windcheck nach Ankunft oberste Priorität, auch wenn das hier oder an den anderen Spots im Nordosten Brasiliens ziemlich überflüssig erscheint. Der Wind ist stetiger Begleiter, unermüdlich wie es scheint.
Während an Tag eins nach der Ankunft noch übermütig die Gardinen vor dem Hotelzimmerfenster beiseite gerissen werden, um nach Tageslicht und Wind Ausschau zu halten, wobei die unmittelbare und heftige Sonneneinstrahlung einen fast das Augenlicht kostet, gleiten die Raumverdunkler in den Folgetagen behutsamer beiseite. Schließlich ist das allmorgendliche Bild bekannt: Sonne, Palmen, die sich im immer gleichen, stetigen Wind biegen und Paolo, der bereits nach dem Rechten schaut.
Tatsächlich ist Sao Miguel do Gostoso einer dieser Windsurf-Spots, an welchen ein Board und ein oder eventuell zwei verschiedene Segelgrößen zum tagtäglichen genussvollen Windsurfen ausreichen. Bei meinen zweiundachtzig Kilogramm Körpergewicht wäre das ein 88 Liter Board und die Segel 4.7 und 4.2.
Ein Freewave oder Tri Fin Waveboard passen ideal zum Spot vor dem Dr. Wind Center. Erosion hat die gesamte Landzunge in Luv vom Center abgetragen und somit existiert auch der ehemalige Flachwasserbereich bei Niedrigwasser, zwischen eben jener nicht mehr existierenden sandigen Landzunge und den vorgelagerten Riffs, nicht mehr. Die Dünung schafft es mittlerweile auch bei Ebbe bis ans Ufer und kreiert mehr Bump and Jump Bedingungen als Flachwasser für Freestyle oder erste Carve Manöver.
Zwischen den Riffs sorgen Sandbänke für nette Wellen, die gerade für Welleneinsteiger sehr gut geeignet sind. Bei Flut brechen die Wellen auch teils recht sauber über die Riffs. Aber Achtung: Wer diese Wellen fahren möchte, sollte sich die jeweiligen Riffs bei Ebbe gut eingeprägt haben, um keine unliebsamen Bekanntschaften mit der harten Unterwasserwelt Brasiliens zu machen oder Finnen im Minutentakt wechseln zu müssen.
Bei größeren Swells rollt die Dünung bis in die Bucht und über die etwas in Lee gelegenen Riffe, um dort lange und saubere Wellen zu formen. Gerade bei Niedrigwasser und bis gut zwei Stunden vor Hochwasser laden diese Riffe zu ziemlich langen Ritten und unzähligen Turns ein. Auch hier lauern die teils scharfen Steine nur knapp unter der Wasseroberfläche. „Vorsichtig stürzen“ lautet die Devise, falls der Wellenritt einmal nicht so verlaufen sollte wie geplant.
Da es die Dünung wie bereits beschrieben nicht selten bis in die Bucht schafft, bildet sich um Hochwasser herum ein Shorebreak, welcher gerade Wellenunerfahrenen einige Probleme samt gebrochener Masten bereiten kann.
Ob es an jenem Shorebreak und der dann starken Strömung entlang des Ufers lag, oder an langen und ausgiebigen Sessions bei niedrigeren Wasserständen, jedenfalls hatten wir bei Flut den gesamten Spot ausschließlich für unsere Gruppe.
Die Tatsache, dass der Wind am späten Nachmittag gerne etwas ablandiger weht, führt nicht selten zu der Kombination aus Shorebreak, Strömung und zu wenig Wind im Uferbereich. Diese Kombination lässt viele deutlich weiter in Lee aussteigen. Das ist eventuell ein weiterer Grund für viele, die letzte Session des Tages gegen ein paar nette Cocktails an der Bar von Dr. Wind einzutauschen.
Wer doch hin und wieder in Lee anlanden sollte, wird dort ziemlich sicher bereits von einem Beach Buggy von Dr. Wind erwartet. Dann geht es entweder direkt zum Center, eventuell zur Bar, oder aber zurück nach Luv. Das immer freundliche Personal macht einen wirklich guten Job.
Der ehemalige PWA Profi Paolo Migliorini aus Italien hat an seinem Dr. Wind Center eine wahre Oase des Wassersports geschaffen, mit perfekt abgestimmten Bereichen für die Kiter, Windsurfer und Wingfoiler. Nimmt man die großartige Bar und den Lounge-Bereich samt Pool hinzu, könnte man sich kaum ein besseres Ambiente für einen tollen Aufenthalt wünschen. Wir haben unsere Woche jedenfalls sehr genossen und tolle Tage verbracht.
Alles perfekt in Sao Miguel do Gostoso also?
Der Ort ist tatsächlich recht lang gestreckt, dem Großteil der Bucht folgend. Und die ist riesig. Eigentlich ist Sao Miguel do Gostoso, jedenfalls der Teil in Strandnähe, zweigeteilt.
Zum Einen wäre da der Teil mit Dr. Wind und Kaulis Wassersport Center und zahlreichen wirklich sehr guten Pousadas und zum Anderen der Ortskern.
Zu Fuß werden etwa 15 bis 25 Minuten zwischen den beiden Ortsteilen benötigt, je nachdem, in welcher Pousada oder welchem Teil des Ortskerns man sich befindet.
Einige Pousadas bieten Fahrräder an, uns gefiel der abendliche Spaziergang Richtung der Straße „Xepa“. In der Xepa und um sie herum befinden sich die meisten Bars und Restaurants.
Unser Favorit in der Xepa, das Bistro 70 m, am unteren Ende der Straße.
Wer frischen Fisch und Meeresfrüchte mag, der sollte unbedingt im Sam Pei vorbeischauen. Das kleine Restaurant liegt etwas versteckt zwei Querstraßen hinter der Xepa. Die diversen online Restaurantführer werden sicherlich beim Versteckspiel behilflich sein.
Alle, denen ein abendlicher zwanzigminütiger Marsch, die Strecke muss ja nach dem Essen nochmals zurückgelegt werden, nicht so sehr liegt, kann ich beruhigen. Auch im Bereich der Pousadas, dem südlichen Ortseingang, hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren sehr viel getan und so sind auch hier mittlerweile sehr viele wirklich gute Restaurants vorzufinden. Von hausgemachter Pasta, Pizza, frischem Fisch, Sushi und natürlich den typisch brasilianischen Churrascos, Fleisch-, Fisch-oder Gemüsespieße aller Art auf dem Grill, gibt es eine sehr große Auswahl.
Und dann war es wieder an der Zeit mein Boardbag erneut zu packen und die lange Rückreise anzutreten. Unter Palmen, mit dem immer noch stetigen Wind im Gesicht, viel dies leicht und schwer zugleich und bevor ich mich versah, saß ich bereits erneut im Windcab, diesmal in entgegengesetzter Richtung.
Adeus Sao Miguel do Gostoso. es war mal wieder eine Freude.
Die Clinics von Tom findet ihr hier: tombrendtcoach.com
20.11.2025 © DAILY DOSE | Text: Tom Brendt | Fotos/Grafiken: Tom Brendt