Tourensurfen durch den Limfjord
Alexander ist mit seinem antiken Raceboard in mehreren Tagen von Krig Vig nach Logstør gesurft.

Tourensurfen durch den Limfjord

Alexander Achenbach berichtet von einer mehrtägigen Tour mit dem Raceboard durch den Limfjord.

»Wie man bekommt, was man will, aber anders, als man es sich wünscht.«

Ein Mittwoch im Mai. Es ist 17:37 Uhr, WNW 3-4 Bft., bedeckter Himmel bei guter Sicht. Ich stehe am westlichen Ende des Limfjords bei Krik Vig am Ufer und schnalle mein Trapez um. Ein Blick noch nach Westen zum Hafen von Agger, dann schiebe ich mein Raceboard ins Wasser und starte Richtung Osten.

Und ich habe keine Ahnung, wo ich heute Abend ankomme.

„Wer nicht weiß, wohin er fährt, kommt am weitesten“ - diesen Spruch, der auch William Shakespeare zugeschrieben wird, hat mein Vater vor eine Aufzeichnung seiner Windsurfing-Touren von 1979 bis 1998 gesetzt. Man wird sehen, wie weit ich komme… Ich vertraue auf den lieben Gott, Mobiltelefon, Kreditkarte - und auf den dänischen Nahverkehr. Schließlich bin ich ganz alleine unterwegs und muß wieder an den Ausgangspunkt zurück, zu meinem Wagen, den ich auf dem Krik Vig Campingplatz abstellen konnte.

Schon einige Jahre dachte ich daran, dieses Revier mit dem Windsurfer zu bereisen. Nie hatte es gepasst, aber nun standen alle Signale auf „grün“. Eine unerwartete Urlaubswoche, und die Wettervorhersage war günstig mit einigen trockenen Tagen bei mäßigen westlichen Winden. Die beiden letzten Tage war ich schon hier im Norden, sie brachten zwei Windsurfsessions in Klitmøller und einen schönen Surf an der Fischfabrik, und das bei bestem Frühsommerwetter.

Mein 7,5er Segel treibt mich gemächlich raumschots an einer kurzen Landzunge vorbei. Ein einsamer Formula-Surfer pumpt sich für einige Schläge ins Gleiten, zwei Kameraden beschallen das Wasser dazu mit Techno-Beats. Eigenartiger Soundtrack. Ansonsten scheint an diesem Nachmittag alles stillzustehen. Die Industriesilhouette von Thyborøn im Westen wird nur langsam kleiner. Viele große Windkraftanlagen, die dort ins Wasser gebaut werden.

Ich halte mich im flachen Wasser neben der schmalen Fahrrinne nach Agger und peile auf ein Kap hinter Helligsø. Der Wind bleibt hinter den Erwartungen zurück und treibt mich mit 3 Windstärken raumschots die Küste entlang. Ich bewundere die Leeküste mit erstaunlich hohen, saftig grünen Hängen, die sich sanft zum Wasser absenken, und fühle mich an Bilder aus Neuseeland erinnert. Auf dem Wasser tut sich nicht viel. Fischer haben zahlreiche Bojen im Wasser verankert, die ich mit Abstand passiere. Hinter einer Ziegelfabrik geht die Küstenlinie nach einem sanften Kap mehr in Richtung Westen, und dann habe ich den Wind platt von achtern. Dort, noch hinter dem Horizont, liegt der Oddesund mit seiner Brücke, und hier soll meine erste Etappe enden.

Karte der Tour von Alexander Achenbach

So ganz in den blauen Dunst hinein habe ich diese Reise nicht angetreten. Die Ausrüstung ist mit Bedacht gewählt. Mein Mistral OneDesign ist zwar nicht mehr der jüngste, aber bekannt dafür, von 0 bis 30 Knoten Wind zu funktionieren. (Schnell ist er auch, ich hatte schon 22,5 Knoten gemessen). Das Segel ist ohne Camber-Inducer und aus Ripstop-Folie, es soll haltbar und leicht aus dem Wasser zu ziehen sein, mit einem großen Trimmbereich. Das Gepäck besteht aus einem wasserdichten Rucksack und einer auf dem Vorschiff fixierten wasserdichten Packtasche, garniert mit einem Paar Crocs-Schuhe (leicht und wasserfest).

In der „Gepäckwurst“ sind Schlafsack, Isomatte und trockene Kleidung. Im wasserdichten Rucksack habe ich Proviant und Wasser, Zahnbürste, Sonnencreme, wasserdichte Stirnlampe, dazu eine Powerbank. Geplant ist, die Nächte in „Shelters“ zu verbringen, die landesweit in Dänemark zu finden sind, oft auch in Wassernähe. Das sind primitive Übernachtungsplätze mit hölzernen „Hundehütten“, oft mit Feuerstellen und Grillrost. Diese Shelters sind durchaus beliebt und nicht selten auch vorgebucht oder belegt. Aber noch ist Vorsaison und ich rechne mir gute Chancen aus, dort ein Dach über dem Kopf zu finden.

Plan B wäre die Übernachtung unter dem Segel, nach dem Vorbild von Jono Dunnett, dem britischen Langstreckensurfer. Seine Bücher kann ich jedem, auch Nicht-Windsurfern, wärmstens empfehlen. (Jono Dunnett unternahm 2017 eine Solo-Umrundung des Vereinigten Königreichs mit dem Raceboard. Sein Bericht „Long Standing Ambition“ ist äußerst lesenswert und seine Tour stellt m.E. eine nautische Meisterleistung ersten Ranges dar. Nach seinem Trip von Norwegen ins Schwarze Meer (Bericht veröffentlicht als „In the balance“) bin ich sicher, daß ein größeres Team von Schutzengeln ihn begleitet. Mittlerweile umsurfte er die japanischen Inseln.)

Die Sicherheitsausrüstung ist elementar wichtig. Ich verwende die „Sejlsikkert“-App, das dänische Pendant zur SafeTrxx-App der DGzRS. Das Mobiltelefon ist wasserdicht und griffbereit verpackt. Dazu habe ich ein Hand-GPS mit einer Notruffunktion über Satellitentelefon am Gabelbaum fixiert. Seekartenausschnitte, auf Din A4 wasserdicht eingeschweißt, sind ebenso dabei wie zwei rote Handleuchtfackeln. Dazu noch Kompaß und Armeetaschenmesser. Ebenfalls dabei: Ersatzfinne (mit modifizierter Finnenschraube, sodaß man sie auch ohne Werkzeug eindrehen könnte), und ein Ersatzmastfuß. „Better safe than sorry“, sagen die Dänen.

Nichts für schwache Nerven: verlassene Strandhütte bei Lyngs
Nichts für schwache Nerven: verlassene Strandhütte bei Lyngs

So schippere ich nun vorwinds Richtung Oddesund, immer noch recht gemächlich, das GPS zeigt zwischen 6 und 8 Knoten Fahrt an. Langsam durchströmt mich ein euphorisierendes Gefühl totaler Freiheit. Es ist aufregend und erhebend, nur ein Ziel zu haben, aber keinen Plan, sich dabei aber für alles, was kommt, gerüstet zu fühlen. Heraus aus den ausgetretenen Pfaden, auch wenn es von außen betrachtet völlig unsinnig erscheint. Natürlich macht man solche Touren komfortabler mit dem Seekajak, oder mit einer Yacht, aber ich bin nun einmal Windsurfer, und es ist meine ureigene Art der Fortbewegung auf dem Wasser.

„Sie Spinner. Wieso machen Sie das?“ Das wurde mein Vater während einer Windsurfing-Tour nach Skagen einmal von einem Dänen gefragt. Ich denke lange nach und finde, diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich denke weiter nach und komme zu dem Schluß, daß man nicht jede Frage beantworten muß.

Lyngs
Nach einigen Meilen gehe ich bei Lyngs an Land und setze mich neben eine Hütte am Strand, auf die man mit verschmierten Händen „HJAELP“ gemalt hat. Im Inneren zwei zerfressene Matratzen und diverser Unrat. Hier könnte man ein interessantes Krimi-Szenario konstruieren. Ich verspeise eine Minisalami und trinke etwas, dabei fällt mir mit Schrecken auf, daß ich gegen das vierte Charchulla-Gebot verstoße: „Habe immer einen Ersatztampen dabei“! Den habe ich tatsächlich sonst immer dabei (am Trapez befestigt), aber ich hatte in letzter Minute auf ein Sitztrapez gewechselt und dabei versäumt, den Tampen mitzunehmen. Aber am Strand ist schnell Ersatz gefunden. Aus einigen angespülten Fischernetzresten knüpfe ich einen ausreichend langen Tampen zusammen und wickle ihn um den Trapezhakenbügel.

Und weiter geht es, jetzt voll seetüchtig, Richtung Osten. Irgendwann, denke ich, sollte doch endlich die Oddesundbrücke am Horizont auftauchen. Immer weiter die zunehmend flachere Küste entlang vorm Wind, was bei zunehmender Dünung gar nicht mehr so trivial ist: Balance halten in Längs- und Querachse, Gewichtsverlagerung, wenn der Bug in eine Welle eintaucht und das Board abbremst, und das Segel ohne Trapez fahren, „in den Bändern hängend“. Das erfordert zunehmend volle Konzentration. Einmal etwas geträumt oder den Kopf zu weit verdreht - platsch, haut es mich mehrmals herein. Das wollte ich tunlichst vermeiden, da ich ohne Trockenanzug unterwegs bin. Der 6/5er-Winterneo war aber eine gute Wahl und die Temperatur wird trotz der ungewollten Bäder nicht problematisch.

Oddesundbrücke
Oddesundbrücke

Oddesundbrücke
Und schließlich sehe ich sie: Von der Abendsonne beschienen taucht das Stahlskelett der Oddesundbrücke langsam hinter einer Landzunge auf, noch einige Meilen entfernt, aber jetzt real und greifbar. Immer weiter nach Osten also, und es wird auch langsam Zeit, irgendwo anzukommen, da die Sonne im Westen immer weiter sinkt.

Brücken sind schwierige Hindernisse. Es gilt, das Fahrwasser tunlichst zu meiden, problematisch sind Windabdeckungen und Strömungen. Die Oddesundbrücke hatte ich schon früher inspiziert und fand es am einfachsten, das Board einfach darunter hindurchzutragen. Ich nähere mich von Südwesten, um den instabilen Vorwindkurs zu verlassen und halte auf das nördliche Ufer des Sunds zu. Einen Moment stelle ich mir vor, daß im Brückenwärterhäuschen auch ein Windsurfer sitzt und mir zum Gruße die Brücke hochklappt, damit ich stolz hindurchkreuzen kann. Die Brücke bleibt aber unbewegt von meiner Annäherung, und so lande ich um 21 Uhr neben einigen deutschen Anglern direkt neben der Brücke. Einer von ihnen „versorgt“ - also schlachtet - gerade einen Hornhecht, die Begeisterung ob meiner Landung hält sich in Grenzen.

Nachtlager auf der Insel Venø
Es ist Zeit, an das Nachtlager zu denken. Noch ist es hell und es geht ausreichend Wind, um sich einen schöneren Platz zu suchen. Ich trage meine Ausrüstung auf die andere Seite der Brücke und entscheide mich, noch einige Meilen weiter Richtung Südosten zu fahren. Dort liegt die kleine Insel Venø, und hier ist ein Shelter verzeichnet.

Direkt am anderen Ausgang des Oddesunds taucht eine Robbe auf. Kein Wunder, daß für die Angler nur ein Hornhecht übrig bleibt. Hinter dem Leuchtturm am „Schweinefuß“ Grisetå Odde drehe ich nach SO ab, interessanterweise wieder mit Wind platt von achtern, und nehme Kurs auf Venø. Es wird langsam doch ein wenig frisch, und die Sonne sinkt immer weiter. Mitten auf dem freien Wasser des inneren Limfjords frage ich mich, ob es eine kluge Entscheidung war, diese Extrameilen zu wagen. Aber es wird eine Punktlandung, kurz vor Sonnenuntergang lande ich neben dem kleinen Hafen von Venø by an. Nicht ohne mir bei einem weiteren völlig überflüssigen Sturz einen Oberschenkel kräftig an der Finne anzuschlagen. Der Bluterguß wird mir noch für Wochen ein Souvenir bleiben, und der Neo hat jetzt ein Loch.

Ich lagere Board und Rigg hinter einem Wall am Hafen und mache mich auf ins "Landesinnere" Richtung Kirche, wo der Shelter auf der Karte verzeichnet ist. Venø verzaubert schon auf den ersten Blick. Besonders die kleine Kirche wirkt außerordentlich „hyggeli“, später erfahre ich, daß es die kleinste dänische Kirche überhaupt ist. Es dauert eine Weile, bis ich den zwar zentral gelegenen, aber hinter Hecken und Bäumen gut versteckten Shelter gefunden habe - und beide Holzverschläge sind noch frei! Dazu ist die Benutzung kostenfrei. Die Nacht ist gerettet - denke ich mir - und richte mein Nachtlager. Zuvor ein Abendessen aus Butterbroten, Bananen und Wurst. Wasser gibt es frisch aus einem Wasserhahn. Noch brav zähneputzen und dann in den Schlafsack - in Morpheus Arme.

Aber daraus wird nichts. Zunächst zieht eine Wetterfront durch und es regnet lautstark aufs Holzdach bei heftigem Blätterrauschen. Und dann kommt der nach dem Windsurfen wohlbekannte kreisende Ganzkörperschmerz und konzentriert sich auf die Schultern. 37km Vorwindkurs ohne Trapez…Eine mögliche Lösung wäre das mitgenommene Ibuprofen, aber das lagert beim Rest des Gepäcks und ist nicht erreichbar, ohne den Schlafsack zu verlassen, in dem es gerade eben so warm ist, daß man sich nicht bewegen möchte. Ich versuche verschiedene Lagerungen, und schließlich dämmere ich weg. Einen kurzen Moment aber nur…und dann knallt mitten in der Nacht eine Haustür und gefühlt direkt neben mir grölt jemand den Refrain aus „Have you ever seen the rain“ aus voller Kehle in die Nacht. Nach diesem schockierenden Stück Popmusik ist es vorbei mit der Nachtruhe.

Frühmorgens geht die Sonne auf und strahlt auf den zweiten Shelter. Ich ziehe dorthin um, werfe eine Ibuprofentablette ein und döse noch einige Stunden in der zunehmenden Sonnenwärme. Das Hafencafé öffnet ohnehin erst um 11 Uhr, und hier wollte ich gerne noch einen Kaffee nehmen, bevor es weitergeht.

Shelter auf Venø
Shelter auf Venø

Tag zwei
Bevor ich wieder ins Neopren steige, marschiere ich auf die Ostseite der Insel. Das dauert wahrlich nicht lange, nach 10 Minuten erreiche ich einen kleinen Campingplatz mit Kaufmannsladen und stehe wieder am Wasser. Die Küste ist zauberhaft schön, das Licht strahlend, und man fühlt sich sehr weit weg von der hektischen Welt. Ich marschiere noch um die winzige, wirklich sehr hübsche Kirche und kehre zurück zum Hafen. Am Hafencafé bekomme ich dann einen frischen Kaffee und genieße die Sonne. Ein schöner großer Holzsegler aus Struer läuft langsam in den winzigen Hafen ein. Die Skipperin schafft es, das sicher 15 Meter lange Schiff mit Zentimeterarbeit elegant zwischen den anderen Booten festzumachen. Ich kann mich dabei nützlich machen, den Bugspriet am Vorstag einer anderen Yacht vorbeizufädeln. Es trudeln nun vereinzelte Ausflügler ein, die mit der Fähre vom Festland übersetzten. Ein weiteres Segelboot dreht ab, weil der kleine Hafen keinen Anlegeplatz mehr bietet. Ich denke, daß der Skipper vielleicht etwas früh aufgibt. Vielleicht hat er keine Lust, Hauptdarsteller im „Hafenkino“ zu werden. Vorbei an einem kleinen roten Holzhaus, das als „Universität“ ausgezeichnet ist (was mag hier wohl unterrichtet werden?) erreiche ich mein Board wieder, wechsle vom Trainingsdress ins Neopren und steche wieder in See. Auf Venø war ich nicht zum letzten Mal.

Nun geht es an der Küste entlang nach Nordosten. An der Spitze von Venø vermute ich nach den Satellitenbildern eine Robbenkolonie, und die möchte ich mir ansehen. Der Wind weht mit 2-3 Windstärken ganz zufällig wieder von achtern. Vorbei an unzähligen Fischerbojen erreiche ich die Nordostspitze der Insel, wo tatsächlich einige Robben in der Sonne am Strand „chillen“. Ich passiere die Tiere in gebührendem Abstand und halte nach Osten auf den Hafen von Gyldendal zu. An der Steilküste südlich des Hafens schweben einige Gleitschirmflieger gemächlich hin und her. Ich lande an und esse eine Banane aus dem Rucksack. Der Hafen scheint auf den ersten Blick unspektakulär, bis ich eine hübsche Bronzeplastik finde, die eine junge Frau mit bemerkenswerter Physis darstellt. Das Kunstwerk ist die „Salling Pigen“ von Erik Dahl Nygaard, die hier dauerhaft auf den südlichen Teil des Limfjords schaut. Ich verabschiede mich von ihr (sie bleibt ungerührt) und surfe weiter mit Kurs auf Kås Hoved. Der Wind frischt auf und es geht etwas besser voran. An der Spitze von Kås Hoved sehe ich einen Meerforellenangler. Der Limfjord ist ein ausgezeichnetes Angelrevier und hier ist offenbar ein lohnender Platz.

Nun geht der Kurs nach Nordosten in den Sallingsund. Ich hoffe, heute noch Glyngøre zu erreichen, aber bei mageren 6-7 Knoten Fahrt könnte das schwierig werden. Von der markanten Sallingsundbrücke, die wir Klitmöller-Pilger so oft passiert haben, ist noch keine Spur am Horizont. Der Wind frischt aber weiter auf und kommt, welch Überraschung, wieder genau von achtern. Bei jetzt guten 4 Windstärken legt der alte Mistral langsam richtig los. Ich fahre einige tiefe Raumwindschenkel in den Schlaufen und endlich im Trapez. Mit dem zunehmenden Wind kommt nennenswerter Windswell aus SW, so daß man sich tatsächlich wie auf der Ostsee fühlt.

Die Szenerie ist fantastisch, man ist umgeben von grüner Küste, aufgelockert von Sommerhäusern, hier und da am Horizont ein weißer Kirchturm. Was mich im Sund erwartet, weiß ich noch nicht. Die letzten nautischen Nachrichten von fcoo.dk verzeichnen immerhin ein noch nicht betonntes Wrack. Offensichtlich ist das hier kein Ententeich.

Und jetzt geht richtig die Post ab, der Wind dreht weiter auf und zieht mit ca. 5 Windstärken in den Sund. Statt platt vorm Wind „weiterzueiern“ donnere ich mit breiten Raumschotschenkeln zickzack quer durch den Sund. Der Mistral kommt gut auf Touren, aber zündet noch nicht richtig (das Logg wird später 19,5 Knoten zeigen). Das Gewicht auf dem Vorschiff macht ihn spürbar träge. Allerdings ist diese Art der Befestigung noch die beste aller schlechten Optionen. Hier hatte ich zuvor einige Versuche unternommen, und da, wo ich das Gewicht am liebsten gehabt hätte (über dem Schwert), stört das Gepäck am meisten.

Jetzt endlich sehe ich auch die Sallingsundbrücke am Horizont! Bei der Geschwindigkeit ist Glyngøre absolut in Reichweite und ich frage mich, ob ich es dorthin noch zu Öffnungszeiten der Danish Oyster Bar schaffe. Die Austernzüchter bieten selbst gezüchtete Limfjordaustern in einer kleinen Bar ganz an der Spitze von Glyngøre an, viele Fotos an den Wänden zeigen stolz, daß man Lieferant für den dänischen Hof ist. Die Austern sind fantastisch, dazu trinkt man nicht unbedingt Weißwein, sondern Bier aus der Fur Bryggeri. Über den Preis decken wir den Mantel des Schweigens.

So träume ich von Austern und Bier als Lohn des Tages, glühe mit Volldampf mal nach Osten, mal wieder Richtung Morsø und denke mir irgendwann, daß diese Änderung der Wasseroberfläche da genau vor mir, mit diesen seltsam kleinen Windwellen, eigentlich überhaupt nicht hierhin gehört. Und dann rausche ich mit einem häßlichen Geräusch auf eine Muschelbank, die knapp unter der Wasseroberfläche liegt. Na großartig, hier habe ich meine Limfjord-Austern, vor die Füße geliefert und 100% regional erzeugt. Sofort ein Blick zur Finne: Glück gehabt, die weit nach hinten geneigte Antikrautfinne hat Schlimmeres verhütet, Board und Finne sind noch intakt, allerdings ist die Finne jetzt einige Millimeter kürzer.

Es hat sich gerächt, daß ich zufällig das Stück Seekarte nicht mitgenommen hatte, auf dem dieser Küstenabschnitt verzeichnet ist. Sonst hatte ich mir die Strecke mit Untiefen oder anderen problematischen Stellen vor dem Start immer gut einzuprägen versucht, aber hier mußte ich mich auf „sail it as you see it“ zurückziehen (Jono Dunnett). Das funktioniert allerdings nur bei ständiger Aufmerksamkeit. Da darf man nicht von Austern träumen, schon gar nicht bei Volldampf voraus.

Mit einem ordentlichen Schrecken in den Knochen mache ich mich wieder auf den Weg und vernichte wieder Höhe im Zickzack mit langen tiefen Raumschotschenkeln. Ob ich damit schneller vorankomme als mit plattem Vorwindkurs, bezweifle ich. Aber es macht so unendlich mehr Freude, und dazu spart es Kräfte, weil man das Trapez verwenden kann.

Bald nähere ich mich der Brücke und denke, daß es für heute langsam genug ist. Vor der Brücke ist ein Hotel mit Wasserzugang, mit sicherlich sehr bequemen Betten, sehr verlockend. Aber nichts da, erst geht es unter der Brücke hindurch, mit einem stabilen Raumschotkurs weit außerhalb des Fahrwassers. Und dann ist der Weg frei nach Glyngøre. Ich fahre an den am Wasser gelegenen Ferienhäusern entlang zur Spitze der Landzunge. Unter mir liegt eine Spielwiese für Taucher mit einigen versenkten Schiffswracks und einem Leopard-Panzer. Hinter dem Yachthafen lande ich und beende die heutige Tour.

Venø
Venø

Nachtquartier bei Glyngøre
Als Nachtquartier hoffe ich auf einen Shelter bei Glyngøre. Da es langsam Abend wird, mache ich mich mit meiner Gepäckwurst zügig auf den Weg dorthin und finde ihn, Handynavigation sei Dank, ziemlich abgelegen in einem Wald zwischen Stadtwerken und Industriegebiet, direkt neben einem Wanderweg. Auch hier habe ich Glück, er ist noch frei. Schnell wechsle ich in trockene Kleidung und mache mich wieder auf in Richtung Hafen, wo ich auf ein noch geöffnetes Hafenrestaurant spekuliere. Ob ich da hereingelassen werde, ist eine spannende Frage, denn mein Outfit sieht etwas seltsam aus. Sweatshirt im Trekkingstyle, geht in Ordnung für einen deutschen Touristen. Die Fleece-Trainingshose ist allerdings schon mehrfach genäht und etwas ausgefranst - dafür unschlagbar leicht und warm. Naja. An den Füßen aber Wollsocken mit der Anmutung von Eichenprozessionsspinnern, die sich frech durch die Löcher in den ausgebleichten Crocs zeigen - unfassbar warm , aber stilistisch mehr als grenzwertig. Aber ich habe wieder Glück, das Hafenrestaurant hat noch auf, der Patron gewährt mir Einlass und ich verspeise köstliche „Sternschnuppen“ (Schollenfilets mit Garnelen) mit regionalem Bier. Dank meiner Notrationen wäre ich zwar nicht verhungert, aber Salami an Snickers hätte hier nicht mithalten können.

Nach dem Essen gibt es zwei neue Probleme zu lösen. Es hat ein unangenehmer Nieselregen eingesetzt, und ich darf möglichst nicht nass werden, weil meine Ausgehkleidung auch mein Schlafanzug sein wird. Und ich möchte mein teures Rigg nicht über Nacht am Strand lassen. Die Lösung ist simpel: Ich trage das komplette Rigg als Regenschirm über dem Kopf auf dem Wanderweg Richtung Wald und hoffe dabei inständig, daß mir kein Mensch begegnet. Vergebens. Eine junge Frau mit Hund kommt mir entgegen, schaut aber nur kurz von ihrem Handy auf, als wir uns passieren. Vielleicht ist sie Seltsameres gewohnt.

Am Shelter rigge ich rasch ab und wickle mich in den Schlafsack. Ein Däne mit seinem Hund kommt vorbei, entdeckt mich in der Hütte und wir unterhalten uns eine Weile über dies und das (ich spreche rudimentär dänisch). Er zeigt mir auf der Satellitenkarte noch zwei weitere Shelter direkt am Wasser weiter nördlich, die auf keiner Shelter-App verzeichnet sind. Gut zu wissen. Ansonsten hätte ich Glück gehabt, denn in der letzten Nacht war der Shelter von zwei Radreisenden belegt. Er wünscht mir eine ruhige Nacht und verschwindet im Wald.

Auch in dieser Nacht ist es um Schlaf schlecht bestellt. Die Schulterschmerzen sind trotz vorsorglich eingenommenem Ibuprofen sehr lästig, und ich rotiere wieder von links nach rechts und zurück. Dazu kommt die freie Natur im Wald: Ich habe ständig ein Ohr offen. Es raschelt mal hier, es ruft mal dort ein Käuzchen, oder ein anderes unklares Geräusch holt einen sofort aus dem Dämmerschlaf.

Das gefährlichste Tier im Umkreis ist aber der „innere Schweinehund“. Er frißt nicht Fleisch oder Knochen, sondern Selbstachtung. Und er faucht nicht, sondern lockt mit warmen Worten: Mach doch hier schon Schluß, Du bist doch schon weit gekommen, es ist so kalt noch, morgen ist sicher zuviel Wind, was soll das alles überhaupt, Du mußt doch niemandem etwas beweisen. Und so weiter. Schon ertappe ich mich dabei, Busverbindungen von Glyngøre zurück nach Agger zu suchen. Aber dann schlafe ich doch irgendwann ein und es wird ein neuer Tag.

Tag drei
Der Regen hat aufgehört, aber es geht ein ordentlicher Wind. Ich verlasse den Wald und finde mein Board am Strand noch an Ort und Stelle. Erste Station ist dann der örtliche Brugsen, wo ich den Vorrat an Bananen und Schokoladenriegeln auffülle. Eine saftige Hefeschnecke kommt mit in den Proviant. Mit einem Gratiskaffee (danke, Brugsen!) setze ich mich dann an die kleine Strandsauna des Seebadeklubs und prüfe das Wetter: klare Luft, böige 5 Windstärken aus SW, flaches Wasser und alles in allem überhaupt kein Grund, die Reise nicht fortzusetzen. Der innere Schweinehund gibt Ruhe. Ich will weiter. Mein Plan ist, heute vorbei an der Insel Fur nach Rønbjerg zu kommen. Da der Wind abnehmen soll, nehme ich mir nicht mehr vor. Schön wäre es aber, Logstør am westlichen Eingang des Aggersunds zu erreichen. Hier gibt es gute Busverbindungen und der wesentliche Teil des Limfjords wäre somit abgesurft.

Sallingsund Brücke, Küste und Shelter bei Glyngøre
Sallingsund Brücke, Küste und Shelter bei Glyngøre

Insel Fur
Schnell mache ich mich seeklar und es geht ins Wasser, Kurs Nordnordost Richtung Fur, mal wieder mit Vorwindkurs. An Steuerbord liegen jetzt ausgedehnte Muschelfarmen, dem Ufer vorgelagert. Diese habe ich in unguter Erinnerung, weil ich im Vorjahr auf einem Tagestrip von Norden kommend in die Abendflaute geriet und mich die Strömung immer wieder vor diese Warngebiete versetzte, von denen ich mich nur mit größter Mühe freipumpen konnte. Ich sah meine Familie schon in Glyngøre stehen, aber kam nicht recht vom Fleck, und der Zugang zum Ufer war verlegt.

Der Wind kommt jetzt freier hinter der Abdeckung bei Nykøbing und ich mache gute Fahrt. Immer noch auf Vorwindkurs kreuze ich den Fur Sund und lande im Südwesten von Fur bei Anshede für eine kleine Pause. Fur gilt als eine der schönsten dänischen Inseln, und eine kurze Visite war Pflichtprogramm. Hinter der Böschung liegt ein Sommerhaus mit traumhafter Lage über dem Fjord. Ich präge mir die Seekarte für die nächste Strecke besonders gut ein, denn im Sund wird es spannend. Das Fahrwasser ist gewunden und von erheblichen Untiefen umgeben, und es gilt, die Fähre zum Festland zu passieren. Ich habe nicht die geringste Lust, wieder auf eine Muschelbank aufzubrummen.

Mit Freude spüre ich, daß der Wind weiter zugenommen hat. Denn jetzt ist Schluß mit dem Vorwindkurs, und ich fahre einen langen schnellen Halbwindschlag tief in den Sund hinein. Mit dem bepackten „Donnerbalken“ in voller Gleitfahrt ist das subjektive Geschwindigkeitsgefühl überwältigend. Das ist „Gran turismo“ auf dem Wasser. In meinem Kopf läuft Punkrock: „Gimme gimme shock treatment“. Ich passiere eine Segelyacht aus Skive, die im Fahrwasser nach Osten läuft, wir grüßen uns auf dem Wasser, „god tur!“ Immer auf der Suche nach Hinweisen für Untiefen kreuze ich raumschots Richtung Fähre. Die ostwärts geneigten Seezeichen verraten eine kräftige Strömung im Sund. Weil die kleine Fähre pausenlos hin- und herkreuzt, suche ich mir erst einmal eine Warteposition am Strand von Fur neben dem Yachthafen. Dann ist der richtige Moment gekommen: Kein anderes Schiff im Fahrwasser, stabiler Wind, und ich kann unterstützt durch die Strömung hinter der Fähre vorbeihuschen, kurz bevor sie wieder am südlichen Sund-Ufer festmacht. Das wäre geschafft.

Nun schlängele ich mich an Untiefen vorbei aus dem Fur Sund heraus und nehme Kurs auf die Küste im Osten. Der Wind nimmt jetzt spürbar ab und weht, wie zum Hohn, wieder platt von achtern. Ich nehme es so hin und richte meinen Blick auf ein markantes Haus an der Küste vor mir, in 4-5 Seemeilen Distanz. Einfach fahren und Kurs halten, bei den 5-6 Knoten Vorwindgeschwindigkeit wird auch diese Strecke ihr Ende finden.

Hinter Fur taucht backbords die Insel Livø auf, merkwürdig scharf abgesetzt und erhaben, waldbedeckt. Ein lohnendes Ziel sicherlich, aber das ist für ein anderes Mal. Die Yacht aus Skive hat auf Südkurs abgedreht. Es ist wenig los auf dem Wasser. Der Nachmittag wird friedlich und ich schwabbele bei 2-3 Windstärken und Restwelle nach Osten. So langsam wird es enervierend, ständig durch Gitterfolie zu gucken. Die Arme geben mittlerweile auch ohne Trapez Ruhe, aber der Vorwindkurs bedingt stetige Aufmerksamkeit statt Sightseeing mit verdrehtem Kopf. Ich denke zurück an die beiden Surftage in Klitmöller am Muschelriff, wo ich konstant mit der Strömung kämpfte und mir nichts sehnlicher wünschte, als einmal unendlich Höhe gegen den Wind laufen zu können. Nun, ich kann mich nicht beschweren. Mein Wunsch wurde erhört und ich hatte jetzt bereits 80 Kilometer Höhe zu „vernichten“, mehr noch in Aussicht. Alles, was ich mir gewünscht hatte, und zwar im Überfluß, aber anders als erhofft…

Inzwischen bin ich mitten auf der Risgårde Bredning, in alle Richtungen weit vom Ufer entfernt. Es wird kurz doch ein wenig mental: Was, wenn ich aus irgendeinem unglücklichen Zufall jetzt vom Board getrennt würde? Das wäre fatal. Da wäre es sicher besser, wenn das Satelliten-Notrufgerät an mir selbst statt am Gabelbaum befestigt wäre? Wird für den nächsten Törn umgesetzt. Eine leichte Secumar-Weste mit Gaspatrone wäre auch nicht die schlechteste Idee für größere Freiwasserquerungen.

Ertebølle
Während dieser Grübeleien kommt die Küste zwar langsam, aber stetig näher und ich lande schließlich neben einem kleinen Kap mit steiler Küste, in Ertebølle. Hier finde ich eine Bank auf der hohen Uferböschung und freue mich an einer fantastischen Aussicht in alle Richtungen. Schon weit im Westen liegt Fur, nördlich darüber die scharf abgesetzte Kontur von Livø, und landeinwärts eine sattgrüne hügelige Wiesenlandschaft. Zeit für eine Banane und die „Snegl“, die ich in Glyngøre eingekauft hatte. Dieses typisch dänische Gebäck, was es übrigens in mehreren Hierarchiestufen gibt (über die Luksussnegl bis zur Direktorssnegl) liefert reichlich schnell verfügbare Energie. Wasser finde ich beim Stenalder-Center, einem liebevoll eingerichteten kleinen Ausstellungs- und Picknickhaus mit interessanten Informationen zum Limfjord und der steinzeitlichen Vorgeschichte dieses sehr schönen Fleckens hier.

Küste bei Ertebølle mit Blick auf Fur, Steilküste bei Naesby
Küste bei Ertebølle mit Blick auf Fur, Steilküste bei Næsby

Rønberg
Ein langer Halbwindschlag trennt mich noch von meinem Tagesziel, dem Hafen Rønbjerg. Endlich kann ich Halbwind fahren, allerdings wird der Wind immer schwächer. Die Küste bildet eine sanfte Einbuchtung, aber ich entscheide mich diesmal dagegen, der Küstenlinie zu folgen, sondern nehme den direkten Kurs über freies Wasser, um Meilen und Zeit zu sparen. Ich laufe stetig nach Norden bei 3 Windstärken in Halbgleitfahrt und versuche, ein Gefühl für die Abdrift des Boards zu bekommen.

Und jetzt erhalte ich ein unerwartetes Geschenk: Der Wind dreht etwas nördlicher und nimmt zu. Vollkommen entgegen der Vorhersage, aber jetzt laufe ich bei 4-5 Windstärken und wieder strahlender Sonne auf Amwindkurs in den Kenterschlaufen auf Rønbjerg zu. Ich sehe, wie die kleine Personenfähre nach Livø den Hafen verläßt und lande nördlich der Hafeneinfahrt an. Bei diesem Wind ist noch mehr drin, denke ich, schaue in die Seekarte und entscheide mich, den letzten Schlag bis zum Aggersund nach Logstør zu wagen. Und hier wird die Reise vorerst enden. Der Wind soll die nächsten Tage weiter aus West wehen, was weitere 60km Vorwindkurs durch den Aggersund bis nach Hals an der Ostsee bedeutet, und vom Vorwindkurs habe ich im Moment die Nase reichlich voll. Also könnte es heute eine runde Sache werden, und wenn alles glatt geht, schlafe ich diese Nacht wieder im eigenen Bett.

Kein langer Aufenthalt diesmal, zumal Rønbjerg auf den ersten Blick keine besonderen Reize offenbart. Ich starte und laufe mit guter Geschwindigkeit nach Nordosten die Küste entlang und passiere dabei unzählige Fischerbojen. Bei Naesby wird die Küste wieder steil, ich halte mich aus Sorge vor Steinen und um den Luvstau zu vermeiden weit vom Ufer entfernt. Hinter Lendrup sehe ich dann mein Ziel, Logstør mit einem markanten weißen Haus am Ufer (ich erfahre später, daß es sich um das Limfjordsmuseum handelt). Dahinter die Aggersundbrücke.

Nun wird es wieder spannend: In der Seekarte ist eine weitläufige Untiefe ausgezeichnet, die Logstør weit nach Westen vorgelagert ist. Ich hatte geplant, Kurs auf die erste westliche Fahrwassertonne zu nehmen, um die Untiefe in Lee zu lassen und mich neben dem Fahrwasser nach Osten weiterzuhangeln. Doch soviel ich auch schaue, ich finde die roten Tonnen nicht in der Ferne. Und bevor ich mich versehe, werden die Wellen kürzer und steiler, ich sehe Grund unter mir und wechsle fluchtartig den Kurs zurück seewärts. Vorsichtig laufe ich weiter an der Grenze zum seichten Wasser Richtung Logstør, bis ich das weiße Haus am Ufer querab habe. Schließlich klappe das Schwert als Lot aus und fahre langsam Richtung Strand, wobei ich hoffe, daß unter mir weiterhin nur Muscheln und Seesterne, aber keine Steine auftauchen. So erreiche ich das Ufer würdevoll auf dem Board statt durchs Wasser schlurfend. Ich bin am Ziel, auf dem durch Muschelschalen strahlend weißen, breiten Strand von Logstør.

Limfjordsmuseet und Hausmalereien in Logstor
Limfjordsmuseet und Hausmalereien in Logstor

Mit Öffis und Taxi zurück zum Auto
Aber das Abenteuer ist noch nicht zu Ende. Es ist schon später Nachmittag und ich befinde mich gut 100km von meinem Wagen entfernt. Schnell dusche ich kalt am Strand, ziehe mich um, rigge ab und überlege, wo ich mein Material zwischenlagern könnte. Ich hatte einen Strandabschnitt direkt vor dem lokalen Ruderklub, einem Segelklub und einigen Fischerhäuschen als Landeplatz gewählt, und hier versuche ich mein Glück.

Ich finde einen „Lystfisker“ mit einem schönen Holzmotorboot, der seine Netze flickt und trage mit meinem wirklich nicht sehr starken Dänisch meine Bitte vor. Er erlaubt mir gerne, daß ich Board und Rigg hinter den Hütten seiner Kameraden sichtgeschützt verwahren kann. Ich frage noch, ob er eher Rotwein oder Tuborg bevorzugt, dann verabschiede ich mich und marschiere zum örtlichen Busbahnhof. Leider habe ich keine Muße für ausgiebiges Sightseeing, aber der erste Eindruck von Logstør ist gut und freundlich. Das Städtchen wirkt angenehm unaffektiert und scheint eine Beziehung zu Muscheln, Heringen und Kunst zu haben. Nach einem kurzen Marsch erreiche ich den Busbahnhof.

Kaum 20 Minuten warte ich, dann nimmt mich ein Linienbus mit nach Fjerritslev, dort steige ich nahtlos in einen Bus nach Thisted, der mich direkt am Bahnhof abliefert. Eine Stunde Zeit, bis der Zug in Richtung Struer abfährt, genug, um sich einen feisten Burger mit Pommes in einem Restaurant einzuverleiben. Hier bewährt es sich, daß ich dänisches Bargeld dabei habe, denn Kredit- oder Scheckkarten werden nicht akzeptiert und MobilePay ist für Nicht-Däninnen und -dänen nicht verfügbar. Tellerwaschen abgewendet.

Im Zug nach Bedstedt Thy wird es noch einmal spannend. Da ich nicht über eine dänische ID-Nummer verfüge, konnte ich keinen Rufbus für die letzten 10 km der Rückfahrt buchen. Also ein Taxi. Mit der DanTaxi-App lässt sich problemlos ein Wagen zum Bahnhof ordern.

Ich hoffe inständig, daß das Taxi wirklich kommt, denn als ich gegen 20 Uhr in Bedsted aussteige, empfängt mich ein urbanes Vakuum. Hier regt sich nichts, der Flecken wirkt wie ausgestorben. Wirklich filmreif. Gegenüber vom Bahnhof ein Kro mit benachbarter Bar, der „Lagunen“. Keine Menschenseele. Für einen Reiseprospekt würde ich hier schreiben: „Ein wahrhaftiger Gegenpol zum hektischen Großstadtleben“. Ein Blick auf die Taxi-App beruhigt mich, denn mein Taxi nähert sich, in Echtzeit sichtbar, eindeutig meinem Standort.

So verlasse ich dann Bedsted Thy und schwebe die letzten Kilometer elektrisch und geräuschlos nach Krik, zurück zu meinem Bus auf dem Campingplatz. Ich verabschiede den Taxifahrer nach gut aufgerundeter Rechnung und mit einem leicht schlechten Gewissen, sah ich doch auf der Taxi-App, daß er extra für mich von Thisted nach Bedsted gekommen ist und jetzt wieder zurück nach Thisted muß.

Bei der netten Patronin des Campingplatzes löse ich meinen Wagen aus, wobei ich sie aus einer Bankospil- (Bingo)-Sitzung mit ihren Campinggästen heraustelefoniere. Ich bedanke mich herzlich bei ihr, kläre die Rechnung und gehe noch einmal zurück zum Fjord an den Punkt, von dem ich vor zwei Tagen - wirklich erst vor zwei Tagen? - gestartet bin.

Zurück per Auto zu meinem Brett dann, über Thisted und Fjerritslev nach Logstør. Die Fahrt wird mir nicht langweilig, ich bin nutze die Zeit für ein langes Telefonat mit meinem Vater, dem ich jetzt stolz berichten kann, „auch mal“ einen Törn gesurft zu haben. Naja, vielleicht nur ein Törnchen. Aber gut 120km Strecke durchs Wasser waren es doch.

In Logstør finde ich Board, Rigg und nasses Neopren an Ort und Stelle. Schnell wird alles auf- und eingepackt, dann rollen einige Tuborg-Dosen unter der Tür des Fischerschuppens hindurch. Im Bus starte ich das erste Album der „Strokes“ und werfe den Diesel an.

Dreieinhalb Stunden später bin ich wieder zuhause, zurück im „richtigen“ Leben, und liege in meinem weichen Bett. Vollkommen erschöpft, aber bester Laune. Eine ruhige Nacht ist jetzt gut. Aber ich möchte eigentlich gleich weitertouren…

09.12.2025 © DAILY DOSE  |  Text: Alexander Achenbach  |  Fotos/Grafiken: Alexander Achenbach, Christian Tillmanns

Burger gut, alles gut
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