Zuflucht im Land der Winde
Was haben Cheeger Gheeger und Mullian der Falke mit dem Windsurfen in Australien zu tun? Eva Marie Drape-Hülsemann hat sich in Geraldton umgesehen.
Wer zum Windsurfen nach Australien reist, berührt mindestens zwei Welten. Während in der einen Welt der Wind eine physikalische Angelegenheit ist, die gut gemessen werden kann, ist Wind in der Welt der australischen Ureinwohner eine spirituelle Kraft.
Nach Sicht der Aboriginals wird der kalte Westwind Cheeger Gheeger von einer Krähe in einem Baumstamm bewacht und der Südwind Gooroondoodilbaydilbay, wird von Mullian dem Falken begleitet, der auf ihm reitet. Zweimal im Jahr geraten bei einem Tanzfest die Winde außer Rand und Band und müssen wieder eingefangen werden. Und: Es gibt männliche und weibliche Winde. Die weiblichen Winde sind unberechenbar und wild. Die männlichen Winde sind sanftmütig.
Nach vier Corona-Impfungen und 33 Monaten, in denen ich das diffuse Gefühl hatte, in der eigenen Heimatstadt im Exil zu leben, wurde mir Anfang November 2022 wieder die Einreise nach Australien erlaubt. Ich wollte endlich auch wieder mit dem Wind in den Händen Downunder auf den Wellen reiten.
Mein Mietwagen wurde kontaktfrei in Perth übergeben. Dann ging es weiter nach Geraldton zu Mark Stone, der mir ein explosives, perfekt auf meine Bedürfnisse abgestimmtes Wave-Board gebaut hatte, 'mit etwas mehr Auftrieb in der Mitte' und 'schmal auslaufendem, besonders kurvigem Tail'. Anschließend richtete ich mich im Gästehaus ein - endlich frei und voller Erwartungen.
Dort saß ein Falke auf der Suche nach Beute auf dem Balkongeländer. Mit der Zeit gewöhnten wir uns aneinander und teilten den Raum in Stille. Ich musste an die Fabel der Aborigines denken, in der von Mullian berichtet wird.
Zwei Tage später fing es an zu wehen. In St. George's Beach riggte ich zuerst mein Blade 4.5. Messerscharf durchschnitt das Board den aufgewühlten Chop und nahm sofort Speed auf. Verspielt testete ich die Rails - ein super Feeling!
Jedoch war ich schon 30 Minuten später total overpowered, und auch mein Blade 4.0 war kaum noch zu kontrollieren.
Die Windverhältnisse waren eine Herausforderung. Häufig nahm der Wind schneller zu als ich Segel wechseln konnte. Windgeschwindigkeiten von 22/24 Knoten wechselten mit Böen von 36 Knoten und mehr. Ich ging deshalb so früh wie möglich aufs Wasser, meistens mit dem 4.0.
Vom Ozean aus gesehen ist übrigens die andauernde Küstenerosion an den Stränden gut zu erkennen. Ausgeklügelte Coastal Resilience Projekte wie in Sunset Beach sind vielversprechend. Der weitläufige, offene Strand von Point Moore dagegen ist bereits verschwunden. Ende einer Ära: No more windsurfing!
Im Dezember 2022 veranstalteten Justyna Sniady & Scott McKercher ein "Windsurf Boost Camp" in Coronation Beach. Super Bedingungen am Sonntag, Parkplatz überfüllt! Einige Fahrer gingen an ihre Grenzen und zwangen andere zu Ausweichmanövern. Sechzig Segel auf dem Wasser - das Paradies des Windsurfens war außer Kontrolle geraten!
An Wochentagen war die Atmosphäre meist recht entspannt. Mittags sah ich häufig engagierte Soul-Surfer, die mit großen Brettern draußen gewesen waren, ihr Material zurücktragen. Man hatte Zeit für Smalltalk oder konnte im Trapez abhängen und von phantastischen Wellen träumen. Dann baute sich der Wind auf, und plötzlich ritt ich auf kristallklaren Wellen, mit Faces wie aus geblasenem Glas. Ein überwältigendes Gefühl von Weite und Zeitlosigkeit.
Mit steigender Windstärke am Nachmittag glich die Szenerie eher einem Storm Chase. Nur Hardcore Surfer wagten sich noch raus. Gewöhnliche Sterbliche waren froh, wieder sicher auf dem Parkplatz zu sein.
Rate mal, wer da war? Mein Falke. Ob er wohl Wahn the Crow beim Einfangen von Cheeger Gheeger half, die wieder einmal ungestüm herumtobte?
20.11.2023 © DAILY DOSE | Text: Eva Marie Drape-Hülsemann | Fotos/Grafiken: Eva Marie Drape-Hülsemann