Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Tom Brendt war zum ersten Mal nach der Pandemie wieder in Moulay und hat einen Reisebericht mitgebracht.

Es kam heftig, wie eine Urgewalt, der man einfach nichts entgegenzusetzen hatte. So plötzlich, so unerwartet und doch so definitiv. Es war keine schöne Zeit, als im Frühjahr 2020 eine Pandemie losbrach und mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Ich bin Windsurftrainer und meine bevorstehenden und ausgebuchten Wave Clinics, auch die in Moulay fielen dem Virus zum Opfer. Konnte das wirklich wahr sein? Einfach alles absagen?

Ein paar Tage später wich die Schwere in den Beinen, dieser unsägliche Magendruck einer Art Erleichterung, als immer deutlicher wurde, wie rigoros Marokko nicht nur die Grenzen, sondern gleich die Flughäfen und Reisebüros dichtmachte. Aus Ansprechpartnern wurden Nichtansprechpartner. Tatsächlich war ich erleichtert, nicht doch auf Biegen und Brechen versucht zu haben, meine Kurse durchzuführen.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Jetzt sitze ich am Flughafen. Meine Reise nach Marrakesch steht bevor und meine Gedanken scheinen mir bereits mindestens einen Schritt voraus zu sein. Seit Tagen schwirren die unzähligen Erinnerungen an spezielle und sehr spezielle Momente in Marokko in meinem Kopf herum.

Frauen, die auf den Riffen in mühevoller Arbeit Algen für die Kosmetik- und Pharmaindustrie sammeln. Die Fischer in Moulay, die mit dem aufgepumpten Schlauch eines LKW Reifens und einem darunter geschnallten halben Windsurfboard durch die hohe Brandung Richtung Horizont paddelnd um tatsächlich mit einer ordentlichen Menge an Fisch wieder an den Ausgangsort zurückzukehren.

Aber auch Bilder der hektisch überfüllten Städte schießen durch den Kopf. Dieser extreme Kontrast. Wilde Flughafentransfers, bei denen ich es größtenteils bevorzugte, meine Kopfhörer aufzusetzen und meine Augen bis zur endgültigen Ankunft in Moulay geschlossen zu halten. Aber das war früher, jetzt ist das anders. Durch Geschwindigkeitskontrollen, Polizeipräsenz auf den Straßen und auch durch neuere, klimatisierte Transfermobile, deren Bremsen und Straßenlage mehr Sicherheit vermitteln, verläuft die gut zweieinhalbstündige Fahrt dann doch mittlerweile um einiges entspannter.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Der Flug beginnt. Der Kunstlederbezug, in den sich mein Körper erfolglos versucht einzuschmiegen, knarzt und würde bei ein paar Grad mehr Temperatur im Inneren der ATR 72 Propellermaschine zu unkontrollierten Schweißausbrüchen führen. Mein Sitznachbar schlummert vor sich hin und obwohl es mir im Flugmodus im Normalfall ebenso ergeht, bevorzuge ich diesmal den Blick aus dem Fenster. Es kommt nicht so häufig vor das ich die Westküste Fuerteventuras und die Vulkanlandschaft des Nationalparks Timanfaya auf Lanzarote so nah und deutlich aus der Luft erkunden kann.

Bevor ich meine Gedanken zu gerade aus der Luft entdeckten neuen Mountainbikestrecken auf den Kanaren zu Ende bringen kann, befinden wir uns bereits über der marokkanischen Küste.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Glücklicherweise führt die Flugroute direkt über die Surf Hotspots Taghazout und Imsouane nördlich von Agadir. Es bietet sich ein traumhafter Blick auf perfekte Wellenlinien die sich vor den riesigen Sanddünen aufbauen, um ihre Energie in fast schon unwirklicher Perfektion, wie an einer imaginären Schnur gezogen, vor der Küste zu entladen.

Die Gipfel des mächtigen Atlasgebirges bohrten sich durch die Wolken und die größtenteils schneebedeckten Gipfel glitzerten. In weiter Ferne lässt sich im Westen Essaouira erahnen, bevor sich eine riesige Wüstenlandschaft am Fuße des Atlas und Richtung Marrakesch breitmacht. Ein wahres Naturschauspiel.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Dann blinkten bereits die Anschnallzeichen auf und der Landeanflug zum Marrakesch-Menara Flughafen wird deutlich spürbar.

Kaum hat unsere Maschine ihre Parkposition erreicht, traue ich meinen Augen kaum. Kein hektisches Treiben, keine Menschenmassen, die sich zu den Passkontrollen zwängen. Die Passkontrolle selbst scheint ausschließlich für die knapp dreißig Passagiere unseres Fluges geöffnet zu haben. Irgendwie fühle ich mich in Pandemiezeiten zurückversetzt.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Es fühlt sich gut an, diesen Flughafen nach erfolgreicher Einreise, Gepäckabholung und Kauf einer nationalen SIM-Karte nach weniger als 30 Minuten verlassen zu können. Absoluter Rekord.

Nach knapp 15-minütiger Fahrt, vorbei an zahlreichen neuen und extrem modern wirkenden Cafes und Bekleidungsgeschäften, in stetigem Wechsel zu traditionellen und deutlich staubig und unorganisierteren Obst-Gemüse- und Bauartikel-Läden verlassen wir Marrakesch und werden die nächsten zweieinhalb Stunden kaum noch Kurven zu sehen oder spüren bekommen.

Wie durch einen völlig überdimensionierten Baumarkt führt die schnurgerade Strecke Richtung Essaouira. Ein Ort scheint sich auf Zement und Mauerstein spezialisiert zu haben, während Holz und Schreinerarbeiten im nächsten und Ton samt Töpferarbeiten im darauf folgenden Ort das Bild prägen. Weiter durch zwei Wochenmärkte. In aller Ruhe schieben wir uns in Schrittgeschwindigkeit durch die Menschenmassen. Es folgen einige Kurven und Hügel die es zu überqueren gibt und plötzlich wird der Blick auf die Küste frei. Sehr windig sieht es noch nicht aus, aber saubere Wellenlinien sind mehr als deutlich aus der Ferne zu erkennen.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune
Bild unten: Essaouira

Endlich, endlich biegt mein Taxi auf die letzte Gerade ein, die uns direkt in das kleine Fischerdörfchen Moulay Bouzerqtoune führen wird.

Auch wenn am Ende dieser langen Straße die Moschee des Ortes über allem ragt, fallen meine Blicke doch an ihr vorbei und raus aufs Meer. Ich spüre wie sich ein leichtes Kribbeln von den Füßen bis zum Kopf breitmacht. Vorfreude pur, beim Anblick sauberster Wellenlinien direkt am Hauptspot von Moulay – auch wenn ich eigentlich kaum etwas anderes erwartet hatte. In all den Jahren hat dieser Spot noch nie enttäuscht und es scheint als würde er auch in diesem Jahr außergewöhnliche Bedingungen bieten wollen.

Angekommen. Tatsächlich wieder in Moulay. Und nichts hat sich verändert. Fast nichts. Der Schotterplatz gleich oberhalb des Riffs musste einem asphaltierten Parkplatz mit einem leichten Überschuss an Straßenbeleuchtung weichen. Den Dauercampern in Moulay wird die neue nächtliche Intensivbestrahlung eventuell nicht ganz so recht sein. Gekommen sind sie dennoch, um zu bleiben. Zumindest solange der Wind bläst und die Wellen an den Spot rollen.

Drei Tage noch, bis ich endlich wieder meine Wave-Specials hier am Magic Fun Windsurfcenter in Moulay abhalten darf.

Obwohl sich auch während des Winters ein Swell nach dem anderen an der Küste entlädt, ist gerade erst Saisonbeginn. Die Winterswells sind meist groß und mächtig und der Wind ist eher schwach und träge unterwegs, während er ab April richtig Fahrt aufnimmt und die Wellengröße nicht so erfahrenen Waveridern zwar immer noch weiche Knie bescheren kann, aber erste Ritte zulässt.

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Essaouira

Meine Gruppe und ich sind die ersten Gäste der Saison am Magic Fun Windsurfcenter, welches nach dem Abgang von Local Hero Boujmaa Guillol nach Maui, die einzig verbliebene Verleihstation in Moulay ist. Da ich bereits früher angereist bin, habe ich das gesamte Center und Guesthouse für mich alleine. Wirklich alleine. Es ist schon sehr einsam. Wenn der Muezzin nicht vor Sonnenaufgang die Menschen zum Gebet gerufen hätte, wäre ich tatsächlich davon ausgegangen, in einer Art von Hühnern und Hunden regiertem Geisterdorf geschlafen zu haben.

Auch nach Sonnenaufgang ist keine Menschenseele zu erkennen, einige Fischer in ihren Fischerbooten in der Ferne sind das einzige Zeichen von Leben.

Doch kaum gesellt sich am späten Vormittag etwas Wind zu den Wellen über dem Riff, stellt sich in beeindruckender Geschwindigkeit ziemlich reges Treiben in der Impact Zone ein und gut dreißig bis vierzig Windsurfer stürzen sich die Wellenkämme hinunter.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune
Bild oben: Essaouira

Es kann endlich losgehen. Meine erste Gruppe ist vollständig eingetroffen und nach den Sicherheitseinweisungen inklusive Verhaltensregeln bei Stürzen und Waschgängen sind auch alle bereit, sich in die Fluten zu stürzen, auch wenn es für die meisten zuallererst gilt, sich zu überwinden.

Moulay will sich gleich zu Beginn unserer Camps von seiner „besten“ Seite zeigen und so laufen über drei Meter hohe Wellen in Sets auf uns zu und der Wind bläst auch ordentlich. Im Stundentakt können wir unsere Segelgrößen einen Schritt nach unten korrigieren. Jeder Einzelne machte seine Sache extrem gut und die Schüler schaffen sogar ersten glorreiche Wellenritten, das tosende Weißwasser im Nacken. Es gibt viel zu erzählen und analysieren beim allabendlichen Gemeinschaftsessen im Cafe Resto des Magic Fun und zum Glück ist der Weg vom Cafe ins Bett nicht weit.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Der Rest der Woche verläuft deutlich harmloser. Bei knapp eineinhalb bis zwei Metern Wellenhöhe und angenehmen fünfundzwanzig Knoten können die Teilnehmer meines Kurse mit etwas niedriger Herzfrequenz die Wellen und den Ozean zu lesen und erste saubere Bottom Turns starten, die im Anschluß von den Wellenlippen in flüssige Cutbacks gedrückt werden.

In der zweiten Wochenhälfte benötigt die Windmaschine nach wochenlangem Arbeitsstress etwas Erholung. Die Wellen aber blieben und boten einen idealen Spiel- und Trainingsplatz für das Wellenreiten und Stand Up Paddeln, ideal um sich noch intensiver mit den Wellen zu befassen.

Essaouira
Essaouira

Es bleibt Zeit für eine Nachmittagstour nach Essaouira, etwas Zivilisation schnuppern und vor allem die Altstadt, die Medina erkunden, was teilweise einer Reise in die Vergangenheit gleichkommt, auch wenn eben jene Medina der schrittweisen Modernisierung nicht vollkommen entfliehen kann.

Es ist ein Trip, der sich immer wieder lohnt, selbst wenn man diesen Ort schon unzählige Male gesehen hat, zieht einen die spezielle Atmosphäre doch immer wieder in den Bann. Das üppige Abendessen in Essaouira will am nächsten Tag wieder abgearbeitet werden und glücklicherweise nimmt auch der Wind langsam wieder etwas an Fahrt auf.

Zu Beginn der zweiten Camp-Woche stellen sich wieder feinste Moulay-Waveriding-Bedingungen ein. Die Tage auf dem Wasser sind lang. Waveriding bis in den Sonnenuntergang, gemütliche Abende, und lange, ruhige Nächte zur Erholung.

Reisebericht Marokko: Moulay Bouzerqtoune

Auch die deutsche Top-Windsurferin Lina Erpenstein ist zum Training bei Wind von rechts angereist und beeindruckt mit radikalen, kräftigen und flüssigen Wellenritten. Sie hält sich auch beim Springen einfach nie zurück. Beeindruckend!

Fast ebenso beeindruckend sind die Kinder aus Moulay. Völlig ohne Mittel um irgendwie an einigermaßen taugliches Windsurfmaterial zu kommen, nutzen sie, was sie finden können: Strandgut, Segel und Boards die die heftigen Tage in Moulay nicht überlebt haben, werden von ihnen recycelt und damit stürzen sie sich erfolgreich in die Brandung.

Dann sind die zweieinhalb Wochen Moulay um. Die Zeit verging mal wieder im Zeitraffertempo. Wir alle nehmen unzählige sehr spezielle Momente aus einem sehr speziellen Ort mit nach Hause, mal wieder.

Bis zum nächsten Jahr, Moulay!

02.06.2023 © DAILY DOSE  |  Text: Tom Brendt  |  Fotos/Grafiken: Tom Brendt