Australien - Gerladton

Sailing in a Sunburnt Country

November/Dezember 2019 in Geraldton, WA

Atemberaubende, eindrucksvolle Bilder von Ozeanen und vom Segeln sind zugleich visueller Fluchtpunkt und Inspiration für den Sehnsuchtsort Meer. Aber sie sind kein Ersatz für die wahrhaftig erlebten und auch durchlebten Gefühle auf dem Wasser. Anfang November 2019 stehe ich nach umfangreichen Vorbereitungen nun wirklich mit meinem Surfmaterial am Strand von St. Georges Beach in Geraldton, Westaustralien. Von der Schönheit und Stille der Bucht beeindruckt lasse ich mir beim Aufriggen viel Zeit.

Der Strand befindet sich im nördlichen Teil der Stadt. Vom Zentrum aus fährt man auf der Chapman Road entlang des Indischen Ozeans, vorbei an der riesigen, mit Wasser gefüllten Glaskugel Horizon, die scheinbar die Welt auf den Kopf stellt. Auf Höhe der Landmarke kann man gut beobachten, wie die Sets exakt auf dem vorgelagerten Riff brechen. Am ersten Tag weht der Wind sideshore. Beim Riggen des neuen Wavesegels Blade 4.5 teste ich auch gleich die „rapid loop’n go rigging“ Technik der Cyclops Verlängerung: schnell die Schlinge (den Tampen der Verlängerung) über die Rollen des Vorlieks legen und danach um die (einzige) Rolle der Verlängerung - einfacher und schneller geht es nicht!

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Bei meinem Board bin ich mir keineswegs sicher, ob es wirklich das für mich richtige ist und bin etwas angespannt. Mark Stone hat mich dazu ermutigt, Jaegers Wettkampfbrett von 2018 zu fahren, einen 72l Kode mit fest einlaminierten Fußschlaufen in der für Wellenreiter typischen, weiten Schrittbreite. Mit großem Respekt richte ich das Board im Wasser aus und zögere einen Moment, in die Fußschlaufen des Champions zu treten. Kaum aufgestiegen fängt der Kode sofort an zu beschleunigen und durchschneidet mit Leichtigkeit die brechenden Wellen. Super - beim Rausfahren habe ich das Gefühl zu fliegen, beim Reinfahren spiele ich mit den Rails und ziehe eine Slalomspur hinter mir her. Beim Halsen bin ich etwas überrascht, das Brett dreht so schnell, dass ich mit dem Shiften nicht nachkomme...

In den folgenden Tagen tausche ich die von Jaeger favorisierte MFC 180 Mittelfinne zunächst gegen eine MFC 170 aus, um ein weicheres Fahrgefühl und mehr Brettkontrolle zu bekommen. Bei gleicher Körpergröße macht sich der Gewichtsunterschied von gut 15kg deutlich bemerkbar. Schließlich setze ich eine von Mark gefertigte, sehr flexible 170mm Finne ein und fühle mich sofort wohl - auch die weitere Fußstellung ist problemlos. Eigentlich könnte es Mitte November nun so richtig losgehen, aber die Buschfeuer, die schon seit Wochen den Kontinent verwüsten haben die Außenbezirke der Stadt erreicht: Es herrscht totale Windstille, ist sehr heiß und der Himmel bleibt den ganzen Tag über grau.

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Nach einer Woche bauen sich Wind und Wellen wieder auf. Coronation Beach, die Traumbucht für Windsurfern aus aller Welt 30km nördlich von Geraldton füllt sich langsam. Einige der Besucher und Locals kommen regelmäßig in der Windsaison. Wenn ich zur Mittagszeit da bin, gehe ich häufig zuerst mit dem Blade 5.0 raus und rigge dann auf 4.5 um. Komme ich später, kann ich - mit etwas Glück - gleich das 4.5er fahren und anschließend noch das 4.0er. Nach dem Abriggen am Spätnachmittag bleibe ich gern noch eine Weile am Strand, um den routinierten Locals bei ihren 'After Work Sessions’ zuzuschauen.

Vom Handling meiner Wavesegel bin ich begeistert. Sie entfalten einen enormen Vortrieb, sind unglaublich leicht und liegen locker und ruhig auf der Hand. Auch überpowered sind sie noch lange kontrollierbar. Besonders ans Herz wächst mir mein Blade 3.7. Bei stark böigem Wind und Chop trägt es mich sicher und kaum spürbar durch den South Swell hinaus zu den größeren Wellen: Ein paar erwische ich - muss aber zwischendurch auch mal kurz schwimmen...

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Dann ist wieder tagelang Flaute. Die Surfer hängen am Strand herum oder kümmern sich auf dem Parkplatz um ihr Material. Nur die kleinen Kinder und Hunde haben viel Spaß im Wasser - und natürlich auch der äußerst coole Youngster, der locker Schothorn voraus startet und unermüdlich seine Freestyle Moves übt. Er scheint sein wahres Potential zu entwickeln.

Engagierte Windsurfer, die auf der Suche nach dem 'Spirit of Wave Sailing' sind, könnten ihn gut an einem dieser besonderen Tage in Coronation finden, an denen Wind und Wellen für sie perfekt aufeinander abgestimmt sind. So gelingt Lina Erpenstein (G 423) mit ihrem Freestyle Material auch bei Schwachwind noch ein verspielter Wellenritt. Je mehr ich mich auf mein Board einstelle - z.B. die unmittelbare, direkte Reaktion auch bei kleinsten Gewichtsverlagerungen oder die blitzschnelle Drehung beim Halsen - umso mehr schätze ich es. Mein 'Magic Carpet' eröffnet mir eine neue Dimension von Sicherheit und Kontrolle in der Welle.

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Kein Wind? Dann musst du warten: Schau auf das spiegelglatte Meer, das sich von einem Horizont zum anderen erstreckt. Oder präsentiere stolz deine Surfverletzungen. Du kannst auch eiskalt soviel trinken wie du magst. Oder du steckst alle anderen mit deiner guten Laune an, wie Justyna Sniady (POL 1111), die soeben die Australische Staatsbürgerschaft bekommen hat.

Sobald der Wind wieder anfängt zu wehen, fahren die leichtgewichtigen Powerfrauen aus Deutschland, der Schweiz und Australien wieder raus. Sie schneiden ihre Halsen ins klare, blaue Wasser und freuen sich darüber, dass - für eine kurze Zeit - ihnen das Meer ganz allein gehört.

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Wenn man nach dem Surfen noch etwas auf dem Parkplatz herumschlendert, kann man vielleicht auch einmal auf versteckte Schätze stoßen, wie z.B. Lenas Wettkampfmaterial für den PWA Worldcup Wave oder die Freestyle Ausrüstung, die sie im Training einsetzt. Neben einem großen, schwarzen SSD Nummernschild entdecke ich Jaegers neues Wettkampfboard für 2020, das der Shaper Mark Stone gerade von einer Probefahrt zurückgebracht hat. Und dann ist da noch ein ganz eigenartig aussehendes Board mit Einzelfinne, war das überhaupt schon mal draußen?

Inspiriert durch die Vernissage ROLL THE TAPE mit Trevor Richards in der Regional Art Gallery habe ich in der windstillen ersten Dezemberwoche genug Zeit, um den Spuren der architektonischen und künstlerischen Umgestaltung im Stadtzentrum nachzugehen. In der als Ausstellungsfläche genutzten Passage ROCKS LANEWAY stehe ich hingerissen vor einem Rentier, das ganz aus Muscheln und Tampen besteht. Leider passt es nicht in meinen Koffer... Zum Glück kann ich aber einen ‘Black Magic Ningaloo Mask & Snorkel Set’ erwerben und so die Vielfalt der Unterwasserwelt entlang der Küste ’live’ erkunden.

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Aus irgendeinem Grund gibt es an einigen Tagen in St. Georges gegen Mittag ein kleines Zeitfenster mit Gleitwind und Welle, während in Coronation oder Point Moore der Wind nicht durchkommt. Mit meinem Surfbuddy Tanya bin ich dann dort meist allein auf dem Wasser, sodass wir uns jede Welle genau aussuchen können. Dies sind Momente tiefer Zufriedenheit, in denen ich mich ungezwungen und frei fühle. Ich wechsle von Rail zu Rail bis die Welle allmählich an Kraft verliert und ich wieder anfange zu atmen. Wow!

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Aufgrund der vielen Schwachwindtage im Dezember entwickelt sich Coronation Beach immer mehr zu einem riesigen Spielplatz mit allen möglichen Arten von neuen Toys fürs Wasser. Wenn der Seewind jedoch kräftig weht, bin ich mit meinem 4.0er oder 4.5er weit draußen und jage den Wellen hinterher. Einmal sehe ich dort eine riesige, gut geformte, spiegelglatte, grünliche Welle auf mich zurollen und bin so fasziniert von ihrer unglaublichen Schönheit, dass ich sie unter mir durchlaufen lasse.. Werde ich noch eine wie sie finden? Im nächsten Sommer?

I love a sunburnt country...
I love her jewel-sea,
Her beauty and her terror,
The wide brown land for me.

Dorothea Mackellar,
My Country, 1908

Eva hat die Geschichte auch auf Englisch zum Download angeboten. Hier kann das PDF geladen werden: SailinginaSunburntCountry.pdf

29.06.2020 © DAILY DOSE  |  Text: Eva Marie Drape-Hülsemann  |  Fotos/Grafiken: Eva Marie Drape-Hülsemann

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