SOS - Unterkühlung

SOS - Unterkühlung

Bericht eines ehemaligen Rettungsschwimmers, der beim Windsurfen in Seenot geriet und gerettet wurde...

Irek Stosik hat einen guten Tag mit etwa zehn Grad Lufttemperatur genutzt, um früh in die Saison zu starten. Doch schnell gerät der ehemalige Rettungsschwimmer in vier Grad kaltem Wasser in eine lebensbedrohliche Situation, aus der er gerade noch rechtzeitig von der DGZRS gerettet wird. Hier ist sein Bericht:

Neustadt in Holstein, 15.03.2014.
Es ist ein sonniger und mit 10 °C ein recht milder Tag. Doch vor allem ist es ein windiger Tag. Der Wind kommt aus Nordwest mit konstanten 20 bis 26 Knoten. Es ist zwar ein bisschen ablandig, aber das ist dennoch keine Hürde. Ich denke mir, „Ich bin doch kein Anfänger! Ich bin ein ehemaliger Oberrettungsschwimmer, habe 18 Jahre Surferfahrung und solche Windbedingungen schaffe ich mit links!“

Bei ablandigem Wind hatte ich schon beim DWC auf Formula-Schüsseln mit riesigen Lappen viele Runden gedreht. Schöne Zeiten, lange her. Ich freue mich auf ein schönes Slalomtraining. Ich packe das Material ins Auto und fahre an den Badestrand in Neustadt - zu meinem Geheimrevier beim Wind aus Nordwest.

Ich überlege kurz nach Pelzerhaken zu fahren und von der Seebrücke zu starten (in Pelzi kommt der Wind freier rein), ich entscheide mich dann aber doch für Neustadt. Es ist ein kurzer Weg zum Gegenufer in Sierksdorf. Dort sind viele Spaziergänger, der Hafen ist in der Nähe und ich fühle mich sicherer. Es kann zwar eigentlich nichts passieren, aber sicher ist sicher. Wie sich später rausstellte, war dies eine goldrichtige Entscheidung...

Von zu Hause zum Spot sind es nur 800 Meter, eine Minute Fahrt. Ich baue mein Material auf und trimme mein 6.3er North Ram für den starken Wind. Die neuen Trapeztampen sind schon längst an der Gabel festmontiert. Die 32er Finne wird in den Kasten von meinem F2 SX S mit 91 Litern festgeschraubt, der alte aber zuverlässige Mastfuß wird festgesetzt und das Material ist einsatzbereit. Ich prüfe noch einmal die ganze Ausrüstung. Alles perfekt. Nur noch schnell umziehen und es kann losgehen.

Die Bedingungen sind wirklich optimal. Da es ein wenig ablandig ist, gibt es keine Welle. Sehr gut! Heute kann ich schön heizen. Konstante 6 Windstärken, Sonne, milde 10 Grad – was will das Slalomherz mehr?

Ich starte gegen 15.30 Uhr. Sofort komme ich ins Gleiten. Ich kreuze, damit ich in der Nähe des Ufers in Sierskdorf bleibe. Die Powerhalse funktioniert einwandfrei. Ich befinde mich im optimalen Windbereich. Es geht voll ab.

Doch dann trennt sich das Rigg vom Board. Der Mastfuß ist gebrochen. Ich denke mir: „Ok, nichts schlimmes, er hat eine Weile ohne einen einzigen Ärger funktioniert.“

Ich sehe mich um und schätze die Entfernung zum Ufer auf zirka 300 bis 400 Meter ein. Noch habe ich keine Panik, denn mir ist noch nicht klar, in welcher Lebensgefahr ich mich gerade befinde.

SOS - Unterkühlung

Ich binde das Rigg ans Brett, lege mich auf das Board und fange an zu paddeln. Ich fühle keine Kälte, mein regelmäßiger Saunabesuch zahlt sich aus. Am Anfang denke ich, wenn ich 15 bis 20 Minuten kräftig gegen den Wind paddle, komme ich ans Ufer. Denkste! Die Gegenströmung ist stark. Es geht nur sehr mühsam voran. Hinzu kommen die kleinen kabbeligen Wellen, die ins Gesicht spritzen.

Nach einer Weile muss ich das Segel losbinden. Die „Handbremse“ hatte doch zu großen Widerstand erzeugt. Ohne Rigg geht das Paddeln leichter, aber leider wird der Wind stärker und ich spüre die zunehmende Gegenströmung. Es geht überhaupt nicht mehr vorwärts. Mir wird langsam kalt. Es hat keinen Zweck sich weiter Richtung Ufer zu orientieren.

Ich wechsle die Richtung, lasse mich in die Richtung der großen Boje treiben, während ich versuche durch Winken auf mich aufmerksam zu machen. Nach einiger Zeit erreiche ich das Ziel und halte mich an der Boje fest. Inzwischen ist mir sehr kalt geworden. Ich fange an stark zu zittern.

Plötzlich kommt von hinten ein Seenotrettungsschiff. Zwei Retter ziehen mich auf das Boot. Anschließend das Brett und sogar das Rigg, das in der Nähe schwimmt.

Ich setze mich auf den Boden und schaue auf die an der Wand hängende Uhr. Es ist 16.40 Uhr. Ich muss zirka eine Stunde im 5 Grad kalten Wasser geschwommen sein.

Ich breche fast zusammen. Jetzt merke ich die Kälte. Ich werde von der Mannschaft gefragt, wie es mir geht. Ich antworte nur mit einem müden Lächeln: KALT! Ich höre, wie einer von den Rettern den Notarzt bestellt. Ich denke mir: „Wozu? Ich bin doch schon sicher.“ Das ist ein großer Irrtum.

Später erfahre ich, dass es immer zu einer Herzstörung kommen kann. Am Ufer wartet schon der Notarzt. Ich werde sofort in den Rettungswagen geführt und meine Körpertemperatur wird gemessen. Das Thermometer zeigt 34,1 °C. Die Ärztin spricht von einer mittleren Unterkühlung. Ich werde zur Beobachtung ins Krankenhaus transportiert. So endet mein Surftag an einem schönen, sonnigen Tag bei optimalen Windbedingungen...

Am nächsten Tag realisiere ich langsam, wieviel Glück ich hatte. Wäre ich noch etwas länger im kalten Wasser geblieben, hätte es anders enden können. So schnell kann sich ein Surftag zu einer potentiellen Tragödie entwickeln. Mir wurde einfach ein zweites Leben geschenkt. Am Sonntag gehe ich zur Seenotstation, um mich zu bedanken. Die Retter erzählten mir von einem anderen Surfer, den sie aus dem Wasser rausgeholt haben. Er war während der Fahrt ans Ufer noch gut drauf. Im Krankenhaus ist er leider gestorben.

Mit der Geschichte will ich keine Aufmerksamkeit um meine Person erzeugen. Im Gegenteil. Ich bin auf die Story nicht wirklich stolz. Der Beitrag soll als Warnung für alle Wintersurfer dienen. Auch wenn jemand über viel Erfahrung und relativ gutes Können verfügt, kann es immer zu einer Materialpanne kommen. Dem Wasser ist es egal. Jeden kann`s treffen.

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Nach diesen Erfahrungen habe ich versucht, einige Tipps für das Surfen bei kalten Temperaturen aufzustellen:

1. Geht nie alleine aufs Wasser, auch wenn ihr das Revier sehr gut kennt.

2. Große Vorsicht ist bei starkem ablandigen Wind geboten. Konstanter Wind und ein glattes Meer ist sehr verlockend fürs Heizen. Eine lange Erfahrung hilft euch nicht, wenn das Material versagt und niemand in der Nähe ist. Wartet lieber auf eine andere Windrichtung oder sucht einen anderen Spot aus.

3. Der Wasserstart muss perfekt sitzen.

4. Immer nur so weit rausfahren, dass ihr noch gesehen werden könnt.

5. Wenn doch etwas passiert, keinen großen „Helden“ spielen und die angebotene ärztliche Hilfe annehmen. Die Komplikationen können zu einem späteren Zeitpunkt auftreten.

6. Ein dicker Anzug und Schuhe sind Grundvoraussetzung. Einige verzichten bei milden Lufttemperaturen auf die Kopfhaube. Dieser kleine Faktor kann aber entscheidend sein.

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7. Nur an einem sonnigen Tag surfen. Die Wahrscheinlichkeit ist dadurch deutlich größer, dass sich viele Spaziergänger am Meer befinden und bei einem Materialbruch oder bei einem Unfall die Retter alarmieren können.

8. Immer im Training bleiben. Joggen oder sanftes Kraftraining ist eine schöne Ergänzung. Der Körper bleibt fit.

9. Wenn möglich, regelmäßig die Sauna besuchen. Ich schwitze jede Woche. Durch den Temperaturwechsel bereitet sich der Körper auf extreme Situationen vor. Angeblich war es in meiner Situation sehr hilfreich. Nach dem ziemlich langen Aufenthalt im kalten Wasser sank meine Körpertemperatur relativ langsam.

Irek Stosik

P.S. Vor ein paar Jahren habe ich mitgeholfen, einen verletzten Formula-Racer aus dem Wasser zu holen. Es war schönes Gefühl, jemandem zu helfen. Im Leben kommt doch alles zurück...

Die Seenotretter in Deutschland sind spendenfinanziert. Wer sie unterstützen möchte, sollte diesen Link ansehen: www.seenotretter.de

27.03.2014 © DAILY DOSE  |  Text: Irek Stosik  |  Fotos/Grafiken: Falk Loeber / DGzRS, W. Mönch / DGzRS