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Ägypten

Die politische Lage in Ägypten ist angespannt. Eignet sich das Land noch als Reiseziel? Eine Crew um Valentin Böckler hat es ausprobiert.

Gemeinsam sitzen wir in einem Restaurant in Kiel, sichten Bilder und Videomaterial und hier, mitten in Deutschland, einem der politisch stabilsten Länder, durchleben wir unseren letzten Surftrip noch einmal. Die Umgebung steht im krassen Gegensatz zu einem traditionellen Restaurant in Hurghada, in dem wir einmal gemeinsam mit unserem lokalen Führer Ahmed vor Ort gegessen haben. Dort haben wir für etwa zwei Euro das wohl beste Essen unseres Lebens genossen, serviert von einem etwa achtjährigen Kind, in einem von den Frauen und Kindern durch ein Gitter abgetrennten Bereich, während draußen an jeder Straßenecke Panzer und Soldaten Stellung hielten. Aber fangen wir einmal von vorne an.

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Valentin im Freestyle-Himmel.

Wir, das sind Profi-Freestyler Valentin Böckler, die Jungs vom Filmteam Treehouse Adrian Koch und Manuel Kappmeyer, sowie Fotograf Phil Schreyer. Mitten im grauen, kalten deutschen Winter erreicht mich eine Mail von Valle, dass wir in Hurghada neue Spots entdecken und uns selbst ein Bild über die aktuelle politische Situation machen sollten.

Es besteht lediglich Kontakt zu einem Local namens Ahmed, der uns ein paar Tipps geben könnte. Ahmed Omar ist ein ägyptischer Freestyler, seine Familie betreibt mehrere Surfstationen im Land. Er fährt einen Opel Tigra (von ihm „the Chick Magnet“ genannt), den er auf 200 PS getunt hat. Er wird für den Trip unser Local Guide. Ohne langes Nachdenken sind auch die anderen Feuer und Flamme, die Flüge sind schnell gebucht und schon 3 Wochen später landen wir in sommerlicher Wärme in Hurghada.

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Ahmet und der "Chic Magnet".

Unser erstes Ziel ist Soma Bay, einer der wohl bekannteren Spots in der Nähe Hurghadas. Sobald unser Gepäck zum Robinson Club gebracht ist, hält uns nichts mehr und wir machen uns sofort auf den Weg zum Strand, um die Bedingungen selbst zu testen. In unserem Eifer kommt uns ein Kamel gerade recht und Valle reitet mit seinem Surfstuff unterm Arm zum ersten Spot, den es zu entdecken gilt. Er liegt etwas nordwestlich vom Clubgelände und ist nicht über befestigte Straßen erreichbar.

Vor Ort genießen wir beste Bedingungen mit spiegelglattem Wasser, da der Wind hier ungebremst aus der freien Wüste kommt und straight offshore über das Wasser fegt. Dieser Spot lässt jedes Freestyler- und Racer-Herz höher schlagen.

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Fürs Foto: Wüstenschiff & Freestyleboard.
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Rustikaler Charme: Der Tankstellenspot.

Als nächsten Spot checken wir den kleinen Hafen neben der clubeigenen Surfstation. Auch hier finden wir flaches Wasser und dazu eine atemberaubende Kulisse: Zwischen einer alten Tankstelle, die verlassen vor sich hin rostet und nagelneuen Luxusyachten zelebriert Valle Konos, Shakas und Burner in all ihren Variationen.

Auf dem Weg zurück zum Hotel fällt uns erstmals ein künstlich angelegter Teich auf. Er gehört zum Golfplatz der hinter der Hotelanlage gelegen ist. Trotz konstantem Wind um die 30 Knoten liegt die Wasseroberfläche fast spiegelglatt da und wir wissen sofort: „Da müssen wir surfen gehen!“

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Zwischen faszinierender Wüstenatmosphäre und Rohbauten liegen oft nur wenige Meter.
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Am nächsten Morgen treffen wir uns aber erst einmal mit Ahmed an seiner Surfstation, dem „Wind Love – Windsurf Kitesurf Center“. Von da aus ist es nicht weit zu einem weiteren traumhaften Flachwasserspot zwischen verlassenen Hotels und einem Freizeitpark. Vor einer Kulisse aus halb fertig gebauten und dann verlassenen Bootsstegen zaubern Valle und Ahmed einen Move nach dem anderen auf die spiegelglatte Wasseroberfläche.

Unterwegs zum nächsten Spot, mitten im dichten Stadtverkehr Hurghadas, zwischen Militär und Moschee, erklärt Ahmed, wir müssten anhalten, ein guter alter Freund von ihm verkaufe Melonen. Mit einem breiten freundlichen Lächeln auf dem dunklen Gesicht werden uns frische Melonen verkauft – ganz frisch von dem seit sechs Stunden in der Sonne stehenden Hänger. „Ich mache das schon immer, Melonen sind mein Leben!“, erklärt uns der Verkäufer und sein Lächeln wird noch breiter.

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"Melonen sind mein Leben!"

Gestärkt lassen wir Hurghada hinter uns. Nach einer etwa zehnminütigen Fahrt auf dem Highway, in der Nähe El Gounas, biegen wir nach rechts auf eine holprige Wüstenstraße ab. Hinter der Kitestation, die einem Cousin von Ahmed gehört, gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Secret Spots zu entdecken. Schließlich halten wir mitten in der Wüste an, weit und breit ist keine Menschenseele. Zwischen noch nicht fertig gebauten und schon wieder verfallenden Hotels und Restaurants lassen wir unser Auto stehen und gehen zu Fuß die letzten 500 bis 600 Meter bis zur Wasserkante.

Der heiße Sand unter uns ist mit einer Salzkruste überzogen – stand das Wasser hier einmal viel höher? Vor uns liegt eine Lagune, der Wind ist fast schon zu viel für 4.2 und hinter der Sandbank erstreckt sich ein scheinbar unendlich großes Stehrevier. Wir rippen bis in den Sonnenuntergang und machen uns dann ausgepowert und hungrig auf den Weg zurück nach Hurghada.

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Echtes Ägypten abseits der Resorts.

Dort führt uns Ahmed in eine kleine Seitengasse und durch einen winzig kleinen Holzeingang in ein traditionelles ägyptisches Restaurant. Mit Handschlag begrüßt er den Wirt und uns wird ein leckeres traditionelles Menü für umgerechnet gerade einmal zwei Euro pro Nase serviert. Durch Gitter von uns getrennt sitzen die Frauen und Kinder in einem separaten Bereich – kein einziger erwachsener Mann, auch kein Vater, sitzt bei ihnen.

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Mit frisch ausgeruhten Augen entdeckt Valle am nächsten Morgen, während der Autofahrt durch Hurghada, weiter draußen einen Streifen deutlich helleren Wassers. Wir zögern nicht lange, schnell ist ein Motorboot startklar gemacht und wir sind auf dem Weg zu dem vielversprechenden Fleck. Er entpuppt sich tatsächlich als Sandbank und mit 4.2 ordentlich angepowert genießen wir das spiegelglatte Wasser. Kurz vergessen wir, dass uns bloß ein sechsstündiger Flug von dem grauen kalten Deutschland trennt, und nicht ein etwa 13-stündiger Flug nach Bonaire, wie man bei diesen perfekten Labor-Bedingungen denken könnte.

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Am Nachmittag quetschen wir uns alle in Ahmeds „Chick Magnet“. Der kleine Zweitürer bringt uns fünf sicher durch das Zentrum Hurghadas, direkt vor eine kleine Shisha-Bar, in der Nähe der Marina. Abseits vom touristischen Geschehen trinken wir traditionellen ägyptischen Tee und teilen uns eine Shisha mit Ahmed und den Locals - die natürlich aufs Haus geht, schließlich kennt Ahmed den Wirt. An diesem Ort scheinen Frauen keinen Zutritt zu haben. Um uns herum sitzen nur ältere Ägypter, in ganz normaler Kleidung und alle mit Smartphone ausgestattet. Scheint wohl, dass die westliche Welt mittlerweile einen großen Einfluss auf Ägypten hat.

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Nur Männer in der Shisha-Bar
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Danach machen wir noch einen Spaziergang zu dem örtlichen traditionellen Fischmarkt. Während gefühlt an jeder Ecke Soldaten mit Maschinengewehren stehen, treffen wir Ahmed-Zwei. Hier scheint es kaum jemanden zu geben, der nicht Ahmed heißt, vor allem in Ahmeds Familie heißt in jeder Generation mindestens einer Ahmed. Ahmed-Zwei hat uns wohl miteinander reden hören und ohne zu Zögern auf Deutsch angesprochen. Wir erfahren, dass er Ägypter ist, in Frankreich Mathematik studiert und danach in Deutschland gearbeitet hat. Nach insgesamt elf Jahren hat er realisiert, dass sein Herz in sein Land Ägypten, zu seiner Familie und in den Familienbetrieb, einer kleinen Fischerei, gehört. „Das Angeln am Main hat mich einfach nicht mehr zufrieden gestellt.“ Seitdem wohnt er wieder hier in Hurghada und arbeitet in der Fischerei, erklärt er uns lächelnd.

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Etwas später treffen wir auf einen älteren Ägypter, der mit Hammer und Meißel an seinem Boot arbeitet und dabei ist, die alte Farbe abzumachen. Mit Blickkontakt scheinen sich Phil und er sofort angefreundet zu haben, miteinander reden können sie nicht. Der Ägypter spricht kein Wort Englisch und Phils Arabischkenntnisse beschränken sich auf das Wort „Habibi“, was soviel heißt wie „mein Freund“ oder „mein Schatz“. Während Phil seine Kamera in Position bringt und die Situation einfängt, wird das Lächeln des Ägypters immer breiter. Glücklich und voller Stolz arbeitet er mit Hammer und Meißel immer weiter am Boot – bis er aus lauter Eifer schließlich ein Loch in seinem Boot hat. Doch auch als er es bemerkt, trübt das seine Stimmung keineswegs. Fröhlich verabschieden sich die beiden. Als Phil später noch einmal an der Stelle vorbei fährt, ist das Loch im Boot schon wieder repariert.

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Stolz auf seine Arbeit: Der Bootsbauer.

Generell haben wir die Menschen in Ägypten als extrem lebensfroh kennengelernt. Sie sind gegenüber Ausländern sehr offen und freuen sich über neue Bekanntschaften. Vor allem in den ländlichen Regionen sind alle sehr aufgeschlossen und strahlen eine unglaubliche Zufriedenheit aus. Gleichzeitig sind es extrem stolze Menschen, die sich inmitten einer heftigen Rebellion befinden. Zwischen all den Fischern laufen Männer in Nirvana-Shirts herum und zwischen zwei Bars mit traditionell ägyptischer Musik findet man mindestens eine mit Rockmusik. Während hier die traditionelle Bekleidung für Frauen eigentlich der Hidschab ist, eine Kopfbedeckung, die Haare und Hals vollständig verhüllt – sehen wir Frauen mit lockerem Kopftuch, vereinzelt auch ganz ohne Kopftuch.

Von keinem der Menschen, die wir hier getroffen haben oder an denen wir vorbeigegangen sind, ist eine Bedrohung ausgegangen. Wir wurden stets von lächelnden Gesichtern mit offenen Armen empfangen und hätten uns wohl so willkommen und sicher wie in Deutschland gefühlt, hätten nicht Soldaten mit Maschinengewehren jeden unserer Schritte beobachtet.

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Ägypten ist ein Land der Kontraste. Es kann auch liebliches Abendlicht.

Wobei – ein Erlebnis hätte diesen Eindruck wohl doch getrübt. Am letzten Abend, auf dem Rückweg zum Hotel, können wir wohl von Glück sprechen, dass wir überhaupt angekommen sind. In einem Fünfer-Taxi mit einem Fahrer, der kein Wort Englisch kann, sind wir auf dem Weg von Hurghada nach Soma Bay. Dass die Ägypter eine etwas radikalere Autofahrkultur haben als wir Deutschen, ist wohl bekannt. So fährt auch dieser Taxifahrer im Schnitt eher 40 km/h zu schnell, schneidet jede Kurve und sucht auch während der Fahrt nach seinem runtergefallenen Handy, ohne dabei weiter auf den Straßenverlauf zu achten. Hätte Valle in dem Moment nicht ins Lenkrad gegriffen, wären wir wohl im Graben gelandet. Einmal biegt er falsch ab und will in die entgegengesetzte Richtung fahren. Erst als wir ihn antippen, entschuldigt er sich und wendet. Auf dem Highway – wir sind immerhin grob in die richtige Richtung unterwegs – überholt uns ein Motorradfahrer, schaut bei uns rein, lässt sich dann wieder hinter uns zurückfallen und macht im nächsten Moment sein Licht aus – woraufhin auch unser Fahrer das Fahrlicht ausschaltet und blind durch die Finsternis rast. Nach etwa einer Minute schaltet er das Licht wieder an und wir atmen ein wenig auf. Ein bisschen später erscheint der Motorradfahrer wieder neben uns, schaut rein, zieht an uns vorbei, nur um dann direkt vor uns abzubremsen und schließlich davonzuziehen.

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Anspannung bei der Taxifahrt.

Fragend schauen wir uns an. Wir sind schon deutlich länger unterwegs, als die gesamte Strecke eigentlich dauern sollte. Obwohl wir hier beinahe jeden Tag seit Beginn unseres Trips entlanggefahren sind, kommen uns diesmal keine der Kurven und Lichter bekannt vor. Schweigsam sitzen wir im Taxi und hoffen, dass der Spuk möglichst bald vorbei ist, bis schließlich hinter einer weiteren zu schnell genommenen, geschnittenen Kurve die Lichter des Robinson Clubs auftauchen und wir erleichtert aufatmen. Unser guter Fahrer hat wohl nur einen anderen, etwas längeren Weg genommen. Wir bezahlen ihm umgerechnet knappe zehn Euro für die etwa eineinhalbstündige Fahrt und verlassen fluchtartig das Taxi.

Am letzten Tag finden wir endlich Zeit, den schon ganz am Anfang entdeckten Teich auf dem Golfplatz, zu testen. Bei gemütlichen 23°C Lufttemperatur machen wir uns – Valle ausgerüstet mit Shorty und seinem 4.2er Gun Sails – gleich morgens auf den Weg über den Golfplatz. Die Gäste der umliegenden Hotels, die Frühaufsteher unter ihnen, die schon mit ihren Caddies über den Platz rollen, schauen uns verwirrt hinterher. Während wir in Deutschland wohl längst vom Platz verwiesen worden wären, sagt hier niemand etwas, wir befinden uns schließlich in Ägypten.

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Der Golfspot.

Schließlich erreichen wir den künstlichen Teich, der aus zwei Teilen besteht, die durch einen Wasserfall zwischen ihnen verbunden sind. Er liegt genauso spiegelglatt da, wie am ersten Tag, während der Wind wieder mit Full Power über die Wasseroberfläche fegt. Über eine extra angelegte Wasseroberfläche, inmitten von einem perfekt grünen Golfplatz, in einem Land, dass unter riesigen Wasserproblemen leidet und dessen Fläche zu 96 % Wüste sind. Valle zaubert ein letztes Mal einige Switch Konos, Grubbys und Skopus auf die spiegelglatte Fläche und steigt schließlich mit einem breiten verträumten Lächeln auf dem Gesicht, bibbernd aus dem Wasser – das kühle Nass hat geschätzte zwölf Grad, was im Shorty dann doch relativ frisch ist.

Dieses Lächeln erscheint auch jetzt wieder auf seinem Gesicht, als wir uns, warm angezogen in dem kleinen Restaurant in Kiel sitzend, gemeinsam zurückerinnern und die ersten Zusammenschnitte unseres geplanten Videos „Yalla Habibi“ begutachten.

Die Facebook-Seite von Valentin Böckler findet ihr hier.

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